Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
mehr gebraucht und möchte jetzt zu meiner Ehefrau“. Koslow stand auf und eilte weg.
„Ich will dir mal was sagen“, gab der Russe seinem Journalistenkollegen zurück, ohne Koslows Abgang zu beachten. „Die Welt tickt hier anders als in der EU oder in den USA. Einer meiner Kollegen erzählte live, er sei schwul, und wurde auf der Stelle gefeuert! Ist dir klar, was du westlicher Besserwisser vorhin angerichtet hast? Hier in Russland wird weder darüber geredet, was die beiden Ekliges miteinander treiben, noch sind wir an ihrer Lügenpropaganda interessiert! Punkt!“, ereiferte sich der Reporter.
„Also ewige Unterdrückung einer Minderheit. Komm, Florian, raus hier!“ Fabian wollte Florian demonstrativ an der Hand mit sich ziehen. Der stand zwar auf, blieb aber noch einen Moment auf dem Podium.
„Ich hätte es nicht so krass ausgedrückt“, meinte Florian, „aber wenn nicht ihr vom Fernsehen dem Volk beibringt, dass Schwule auch nur Menschen sind wie wir alle, wer dann? Jedes Land hat seine fünf Prozent Homosexuelle. Leider können noch nicht alle Völker damit in fairer Weise umgehen.“
„Ein Gericht hat das Pride-House verboten, in Berufung auf einen verschärften Jugendschutz …!“
Der russische Fernsehjournalist schaute so scharf seinen britischen Kollegen an, dass der mitten im Satz still wurde.
„Ich riskier meinen Job, wenn wir das Gespräch fortsetzen, falls ich ihn deinetwegen nicht schon los bin. Gute Nacht!“ Er stolzierte hinaus.
„Da prallen offensichtlich Welten aufeinander. Danke für das offene Gespräch“, versuchte Brown noch einen höflichen Abschluss für seine beiden verbliebenen Gäste zu finden.
Beim Ausgang fädelte die Regieassistentin Fabian und Florian das Mikrofon aus dem Pullover, dann traten sie mit Stas zusammen auf den Flur hinaus. Der russische Guide hatte von der Studiotür aus das Interview beobachtet.
„Vielen Dank für die eindeutigen Worte“, sagte Stas. „Es gibt in Russland auch Leute, die fortschrittlich denken, aber unter Putin wurden die Orthodoxie und der Rechtsextremismus eben stark.“
„Ich muss zugeben, dass ich den Nachmittag über nicht einen Moment daran gedacht habe, während der Zeremonie beispielsweise einen Regenbogen-Pulswärmer zu tragen. Offenbar sind wir beide nicht so mutig wie Smith und Carlos aus dem Jahre 1968“, musste Florian eingestehen.
„Ich mache mit bei HRN, Human Rights Now“, wechselte Stas auf Deutsch; „Uns beschützt Amnesty International. Ich dort arbeite für Rechte von Schwulen und Frauen, die Frauen lieben.“
„Cool! Und du hast trotzdem den Job hier bekommen?“, fragte Fabian und bemerkte in Florians Augen ein bewunderndes Glänzen für Stas.
„Abgesehen von unserem Präsidenten und der Pressesprecherin verwenden wir in unserer Korrespondenz ausschließlich Decknahmen“, wechselte Stas wieder zurück auf Englisch, da sie nun draußen im breiten Flur des Pressezentrums gingen, wo man sie kaum beachtete. „Wir lassen die E-Mails verschlüsselt über Provider in Westeuropa laufen. Außerdem, mein Familienname Kadyrow gibt mir mehr Spielraum, als ihn andere haben.“
Fabian wollte vor Florian nicht als Unwissender dastehen, verzichtete darauf, nachzufragen, was es mit dem Namen auf sich hatte, und bemerkte lediglich: „Ihr seid mutige Leute. Das respektiere ich.“
Stas nahm das mit einem Lächeln zur Kenntnis.
Auf der Rolltreppe hinunter in die Eingangshalle blickte er auf seinen Tablet-Computer. Der nächste Termin sei ein Besuch im House of Switzerland, dort würde man auch die Teams wiedertreffen. Der Weg führte sie über den großen Platz, vorbei an den gigantischen Stadien zu einem dreistöckigen Neubau am Rande des Olympiaparks. Für Florian gab es keine Regieanweisungen, er wurde aber am Eingang des Pressezentrums vom Guide der Deutschen abgeholt.
„Wir finden bestimmt bald einen ruhigen Moment für uns, um offen zu reden“, versprach Florian und schon musste er weg. Das ZDF wolle noch ein Interview und dann würde ihn sein Team zum Feiern erwarten. Gerne hätte Fabian mit Florian zusammen den Rest des Abends verbracht, aber diesen Luxus gab es offenbar nicht für die Gewinner einer olympischen Medaille.
Fabian war auf dem Weg zum Haus der Schweizer nicht wenig nervös, da er nicht wusste, wie die Fans und VIPs dort auf einen offen Schwulen reagieren würden. Der wie aus überdimensionalen Klötzen modular zusammengesetzte Holzbau war eigens aus der Schweiz hierhertransportiert
Weitere Kostenlose Bücher