Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Moment lang einfach nur noch Leute um sich haben, die er mögen würde, und winkte Justin, das gelte auch für ihn. Dort umarmten sich die drei kurz. Richard betrat gleich darauf das Zimmer, zog sich nur kurz eine Jeans und Turnschuhe an und verschwand gleich wieder. Er treffe sich mit Vanessa in der Mensa, mehr sagte er nicht. Justin schaute Fabian fragend an.
„Der sonst so gefasste Richard hat vorhin die Nerven verloren und sich mit Pesi gezofft. Zudem hat Mayerhofer den Funktionär Graber einen Tubel genannt.“
„Fabian, was ist ein Tubel?“, fragte Stas.
„Ein schweizerdeutscher Ausdruck für Idiot oder Trottel, in Österreich nennt man so jemanden einen Wappler. Das habe ich vorhin von Saubauer gelernt. Ich darf mal zuerst unter die Dusche, muss ja vorzeigbar sein um Viertel vor sechs“, erklärte er und begann, die Rennskischuhe auszuziehen, die er noch immer trug. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm aber, dass es für eine Dusche nicht mehr reichen würde.
„Was sagt Mayerhofer sonst noch?“, fragte Justin.
„Er hat rumgetobt, nachdem er mit Graber telefoniert hatte. Graber meint, das alles könne erst vom Internationalen Sportgerichtshof entschieden werden. Um Unruhen zu verhindern, müsse man den Russen vorerst die Goldmedaille lassen. Nach dem Gespräch meinte Mayerhofer, der Graber sei ein bestochener Tubel oder so. Hab nicht so genau zugehört“, erzählte Fabian und schmiss den Rennanzug auf sein Bett. Wenigstens zum Wäschewechseln sollte die Zeit schon reichen.
„He, Justin, Gratulation zum Diplom, vielleicht bist du jetzt sogar fünfter“, versuchte Fabian nicht mehr bloß an seine Situation zu denken.
„Ich bin siebter! An das andere wollen wir jetzt gar nicht denken!“
„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich Stas. Fabian zog seine Punkjeans hoch und klapste optimistisch dem russischen Studenten auf die Schulter, obwohl seine Zuversicht nur gespielt war. Er fühlte sich all dem überhaupt nicht mehr gewachsen.
„Endlich! Da bist du!“ Florian platzte in das Zimmer.
„Schlimme Sache mit dem Einfädeln beim Slalom“, meinte Fabian, aber der Deutsche fiel ihm schon um den Hals.
„Ich bin fast gestorben vor Sorge“, gab der strohblonde Junge zu. „Jetzt ist aber Schluss mit dem von oben verordneten Abstandsgebot. Wir lassen uns vom Paragrafen fünfzig der olympischen Charta nicht mehr länger einschüchtern.“
Nach den Ereignissen taten diese Worte so gut und nach den Tagen der Unsicherheit über die Zukunft ihrer Beziehung durfte er Florian fest an sich drücken, was den Ärger relativierte, seit er über die Ziellinie gefahren war. Jetzt erlaubte sein Freund sogar einen Kuss.
„Vielleicht können Sie mir die Medaille wegnehmen, aber meine Gefühle für dich nicht“, rutschte es Fabian raus und einen Moment wunderte er sich, dass er so einen romantischen Satz gesagt hatte. „Ab jetzt sind wir tatsächlich ein Paar, auch wenn alle was dagegen haben!“, antwortete Florian trotzig und küsste ihn nochmals. Das gab Fabian wieder Mut, um nun mit den Funktionären zu der Pressekonferenz zu gehen. Florian begleitete ihn.
Justin war dankbar, dass sich die beiden nun nicht mehr unter der Bettdecke vor der bösen, homophoben Welt verkriechen wollten. Und er selbst? So einfach war ein Coming-out im Sport offensichtlich nicht. Er wusste ja selbst, dass die Verbände Druck auf die beiden ausgeübt hatten, ihre Beziehung während den olympischen Spielen ruhen zu lassen, also in der Mensa nicht nebeneinander zu sitzen oder gar Händchen zu halten. Außerdem war vorhin Richard schon sehr direkt gewesen, dass Vanessa jetzt seine Freundin sei, die Zeiten, als man das Ticket für Vanessas Hubschrauberflug gemeinsam kaufte, schienen bereits vorbei zu sein.
„Stas, was meinst du, was da vor zwei Stunden abgegangen ist?“
Der Russe setzte sich wieder neben Justin. „Schwer zu sagen. Vielleicht wollten Fabian und Jörg Pesenbauer nicht absichtlich langsam fahren und die Wettmafia verpasste ihnen einen Denkzettel.“
„Soweit ich die Sache mitbekommen habe, wurden die Entführer unten von der Polizei gestoppt, aber nicht verhaftet.“
Stas stieß ein ironisches „Ha!“ aus.
Also entschloss sich Justin, nicht weiter nachzufragen, ob die Leute an der Straßensperre bestochen oder einfach nur unfähig gewesen waren.
„Es könnte aber auch mit Josef Adolew zu tun haben“, spekulierte Stas, „ich glaube, ihn im Zielraum erkannt zu haben. Das ist der Anführer oder
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