Der Silberbaron
ab. “Wie geht es Ihnen? Ist meine Mutter zu Hause?”
Rawlings nickte, doch sein Blick heftete sich misstrauisch auf den eleganten blonden Mann, der hinter ihr die Eingangshalle betreten hatte. “Sie ist im Salon, Miss Emma”, eröffnete er düster.
Emma wandte sich an Richard. “Bitte entschuldigen Sie mich. Rawlings wird Ihnen eine Erfrischung servieren, während ich meine Mutter begrüße. Ich möchte zuerst mit ihr allein sprechen, aber natürlich wird sie Ihnen danken wollen. Auch ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich nach Hause gebracht haben.”
“Es war mir ein Vergnügen”, erwiderte er, worauf sie ihm in die Augen sah und errötete. Rasch wandte sie sich ab und schritt in das kalte, stille Haus hinein.
“Mama …?”
Margaret Worthingtons grau gelocktes Haupt hob sich von der Chaiselongue. Sie starrte Emma an. Ihr Mund bewegte sich, doch brachte sie keinen Ton heraus, und vergeblich suchte sie sich auf ihren dünnen Armen aufzurichten. Schließlich streckte sie sie ihrer Tochter entgegen, während ihr stumm die Tränen über die eingefallenen Wangen strömten.
Mit wenigen Schritten war Emma bei ihr, fiel ihr zu Füßen und drückte die knochige Gestalt an sich. “Still”, murmelte sie, als sie spürte, wie ihre Mutter erzitterte. “Still … alles wird gut. Ich bin wieder da, und alles wird gut. Mit Papa kommt alles in Ordnung, du wirst schon sehen …”
Da machte die Wiedersehensfreude lang gehegtem Groll Platz. Wutschnaubend schrie Mrs. Worthington: “Du selbstsüchtiges Mädchen!”, und schlug auf Emmas Arm ein.
“Ich weiß, Mama, ich weiß, dass ich selbstsüchtig war. Ich bin heimgekommen, um euch um Verzeihung zu bitten und alles wiedergutzumachen”, brachte sie mühsam heraus, während sie aufstand und einen Schritt zurücktrat. “Ich werde mich an Mr. Dashwood wenden und auch ihn um Verzeihung bitten. Der Vertrag ist unterzeichnet, er muss sich daran halten und die Schulden zahlen, wenn wir heiraten.”
Darauf ertönte ein weiteres schrilles Kreischen: “Wiedergutmachen? Jetzt, wo es zu spät ist? Warum bist du dann überhaupt weggelaufen?”
“Ich ging nach Bath zu Matthew Cavendish, damit er mich heiratet. Ich wollte jemand heiraten, den ich lieben kann.”
“Matthew Cavendish. Den alten Trunkenbold? Den liebst du?”
Müde schüttelte Emma den Kopf. “Nein … aber ich dachte es, als ich von hier wegging, und ich achte ihn noch immer, auch wenn er ein Trinker ist. Von dieser Schwäche hatte ich keine Ahnung. Anscheinend kanntest du ihn besser als ich … Wie auch immer, ich bin wieder da, und bald wird auch Papa wieder bei uns weilen”
“Ich wollte, ich könnte sagen, dass mir das eine Freude ist”, erklärte Margaret bitter. “Aber um des lieben Scheins willen werde ich zweifellos so tun als ob.” Erstaunlich lebhaft kam sie auf die Füße und erstarrte. Mit offenem Mund blickte sie über Emmas Schulter.
Emma drehte sich um und sah Richard und dahinter den Butler in der offenen Tür stehen. Rawlings räusperte sich, sagte: “Lord Du Quesne, Madam” und zog sich zurück.
Emma wischte sich über die nassen Wangen. Entsetzt überlegte sie, was er wohl mit angehört hatte, sagte aber gefasst: “Lord Du Quesne war so nett, mich auf seiner Reise nach Mayfair hier abzusetzen. Sicher möchtest du ihm deinen Dank aussprechen, Mama.”
Richard verbeugte sich und trat dann mit unbewegter Miene auf Emmas Mutter zu, die aussah, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.
“Mylord …”, wimmerte sie endlich und lächelte unter Tränen. “Was für eine große, große Ehre …”
Langsam schloss Emma die Augen und wandte sich ab. Auch in der größten Katastrophe konnte ihre Mutter nicht davon absehen, vor diesem Mann zu katzbuckeln, wie sie es schon vor drei Jahren bei ihrem Geburtstagsball getan hatte. Beschämt hörte sie zu, wie ihre Mutter ihm wortreich und atemlos dankte und ihm dazwischen immer wieder Erfrischungen anbot, die er alle ausschlug. Sie trat ans Fenster und starrte blicklos hinaus.
Sie dachte daran, wie sie vor drei Jahren in ihrem bernsteinfarbenen Ballkleid und dem Samtband im Haar ausgesehen hatte. Victoria hatte gesagt, sie sehe wirklich wunderschön aus, und sie selbst hatte das auch gefunden, obwohl ihre Mutter den Farbton ihres Kleides höchst unpassend gefunden hatte.
Richard Du Quesne hatte gesagt, dass er ihr damals einen Antrag gemacht hätte, wenn er nur ein wenig ermutigt worden wäre. Sie wusste, dass es stimmte, er log
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