Der silberne Buddha
Wohnung. Als er den Schlüssel ins Schloß steckte, begann innen das Telefon zu läuten. Er warf die Tür hinter sich zu und eilte zum Apparat. Es war Sir Ernest Caven, und seine Stimme klang wieder einmal fürchterlich aufgeregt.
„Ich habe es mindestens schon zehnmal versucht, Mister Clifton. Waren Sie bei Missis Case?“ tönte es vorwurfsvoll aus der Muschel, und der Detektiv mußte unwillkürlich lächeln. „Hoffentlich erwartet er jetzt nicht, daß ich mich entschuldige.“ Sanft sagte er: „Ich glaube, ich ließ Sie wissen, daß ich nicht vor 19 Uhr zu Hause sein würde, oder?“
Pause, dann beschämt: „Natürlich, ich hatte es vergessen. Aber das ist ja auch kein Tag wie jeder andere.“
„Also, Sir, ich habe Missis Case im Hospital besucht. Sie ist ziemlich verzweifelt, weil sie sich keinen Reim auf das Verschwinden ihres Mannes machen kann. Aber immerhin haben wir herausfinden können, wo er sich im Augenblick höchstwahrscheinlich aufhält.“
„Sie wissen es?“ schnaufte Sir Ernest.
„Er befindet sich in Dorchester bei seiner Schwester. Ich fahre morgen hin.“
„Unglaublich das alles.“ Der Direktor des Hartford-Hauses verstand wieder einmal die Welt nicht.
„Sie haben Neuigkeiten, Sir?“ erinnerte ihn Perry Clifton.
„Ja, ganz recht. Wir wissen jetzt, wie der Dieb ins Haus gekommen ist. Durch den Heizungskeller!“
Perry Clifton wunderte sich. „Soweit ich mich erinnere, sind die Türen von außen doch gar nicht zu öffnen.“
„Eigentlich nicht“, stimmte Caven zu, „aber es gibt keine andere Möglichkeit. Mister Barnes hat bei einem Kontrollgang entdeckt, daß die Tür zum Hof Shadwell Lane 12 nicht mehr verschlossen ist oder war. Sie wurde von einer feinen Drahtschlinge zugehalten.“
„Hm.“ Perry überlegte. Er glaubte nicht an ein Eindringen von außen. „Könnte ich mit diesem Mister Barnes sprechen, Sir?“
„Aber natürlich. Er ist Hausmeister hier!“
Clifton erinnerte sich. „Ach, der Mann unter dem Dach. Haben Sie ihn über den Diebstahl informiert?“
„Ja, und er weiß auch, daß er vorläufig nicht darüber sprechen darf.“
„Wird er sich daran halten?“
„Unbedingt. Mister Barnes ist ein sehr loyaler Mitarbeiter des Hartford-Hauses. Seine Nummer lautet Kensington 72109... Mister Clifton, ich muß Ihnen noch etwas gestehen.“ Cavens Stimme klang erstickt, als hätte er Atembeschwerden.
„Bitte, ich höre!“ forderte ihn Clifton auf.
„Wenn ich an Mister Wang Yin denke, wird mir regelrecht schlecht vor Sorge. Wie soll ich ihm unter die Augen treten, wenn es Ihnen nicht gelingt, den Buddha wieder herbeizuschaffen!?“
„Ich werde mir die allergrößte Mühe geben, Sir!“ versicherte Perry Clifton, mußte sich jedoch gleichzeitig insgeheim eingestehen, daß er noch nicht die leiseste Ahnung hatte, wo er ansetzen sollte. Das Verschwinden des Ausstellungsdieners allein bedeutete vorerst noch gar nichts. Er hörte wieder Cavens mutlose Stimme: „Also, Mister Clifton, rufen Sie mich bitte sofort an, wenn Sie etwas in Erfahrung bringen.“
„Selbstverständlich, Sir Ernest!“
Perry Clifton drückte die Gabel mit dem Finger herunter und wählte die von Caven angegebene Telefonnummer. Er wollte nach dem zehnten Klingelzeichen bereits wieder auflegen, als doch noch eine Stimme an sein Ohr drang.
„Ja, Mister Goldsmith?“ rief diese Stimme atemlos,
„Hier ist nicht Mister Goldsmith, hier ist Perry Clifton. Spreche ich mit Mister Barnes?“ Eine Weile war es still auf der Leitungsstrecke zwischen dem Hartford-Haus und der Wohnung in Norwood.
„Ja, ich bin Godwin Barnes. Verzeihung, ich dachte, es sei der TV-Kundendienst. Ein Mister Goldsmith wollte nämlich zurückrufen.“
„Nichts für ungut, Mister Barnes. Sir Ernest hat mir Ihre Telefonnummer gegeben. Sie wissen, um was es sich handelt?“
Godwin Barnes senkte unwillkürlich seine Stimme. „Sie sind der Detektiv, der den Diebstahl untersucht!“
„Stimmt. Und mir wurde vorhin mitgeteilt, welche Entdeckung Sie bei einem Rundgang gemacht haben.“
Barnes kam sofort zur Sache, und sein Tonfall verriet wohltuende Sachlichkeit: „Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich die offene Tür entdeckte. Mit einem haarfeinen Silberdraht hatte man die Tür von außen verankert.“
„Wann hatten Sie die Tür denn zuletzt untersucht?“
Barnes’ Stimme klang sichtlich verlegen, als er gestand: „An und für sich mache ich zweimal täglich einen Rundgang. Meist werfe ich im
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