Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
bereits eine lange Schlange von Wartenden gebildet. Die Leute stritten sich, fluchten und schubsten einander, und so manch einem Flegel wurde auch mit Prügel gedroht. Wohl oder übel stellten sich William und David ebenfalls an.
Zunächst warteten sie geduldig, doch nach einer Weile begann David, kläglich zu jammern. Er war durstig und nicht gewohnt, auf Wasser warten zu müssen. Aber es half nichts. Sie mussten sich ebenso gedulden wie alle anderen. Niemand war bereit, seinen Platz für einen zurückgebliebenen Jungen aufzugeben. Warum auch, schließlich waren alle durstig!
Als die beiden nach einer halben Ewigkeit endlich mit Wasserschöpfen an der Reihe waren, begann es bereits zu dämmern. William ließ den Eimer in den Brunnen hinab und zog ihn mit frischem, kühlem Wasser wieder nach oben. Er reichte David den Eimer, ließ ihn ausgiebig trinken und füllte die beiden Trinkschläuche, bevor er sich selbst erfrischte.
»B eeil dich, wir wollen auch etwas! « , rief ein Mann weit hinter ihnen in der Warteschlange ungeduldig.
William beachtete ihn nicht, trank noch ein paar Schlucke und überließ den Eimer dann der jungen Frau, die gleichmütig hinter ihm gewartet hatte.
»W isst Ihr, wie weit es noch bis London ist? « , fragte er sie scheu, als sie den Eimer in die Tiefe hinunterließ.
»Z u Fuß gut eine halbe Tagesreise, schätze ich. Die Reiter dort hoffen wohl, es noch zu schaffen, bevor die Stadttore schließen. « Sie zeigte auf die Berittenen, die an ihnen vorbeipreschten, als wäre ihnen der Teufel auf den Fersen, lächelte William schüchtern an und holte den Eimer wieder herauf.
William nickte zum Gruß und zog David mit sich fort.
»S uchen wir uns einen Platz zum Schlafen. « Zur Erläuterung für David hielt er die Hände an die Wange.
Der Junge riss jedoch die Augen auf und sah ihn vorwurfsvoll an. Missmutig rieb er sich über den Bauch.
»J a, ja, keine Angst, ich besorge dir noch etwas zu essen « , besänftigte William ihn ergeben. Er selbst nahm nur David zuliebe hin und wieder eine Kleinigkeit zu sich – nicht um den Schmerz des Hungers zu vertreiben, denn der schien ihm angesichts seiner Schuld durchaus verdient.
Rund um den Brunnen ließen sich die Reisenden nieder. Einige Frauen boten Essbares feil, um das sich Kauflustige drängten. William hätte mit dem Habicht im Wald, der ihren Weg säumte, jagen können, doch er fühlte sich zu schwach zur Beize. Mit zittrigen Händen, erschöpft und hoffnungslos suchte er ein Marderfell aus seinem Bündel heraus und bot es einer Verkäuferin duftender Pasteten zum Tausch an. David war ständig hungrig und musste etwas essen, William selbst empfand keinen Hunger. Den Habicht hatte er erst am Morgen großzügig geatzt, er konnte also warten.
Für das Fell bekam William zwei große Pasteten, die mit viel Kohl und wenig Fleisch gefüllt waren, mehr nicht. Er zuckte kurz zurück und zögerte. Das Marderfell ist mehr wert, überlegte er. Andererseits besaß er den Habicht. Mit ihm war es ein Leichtes, kleine Pelztiere wie Marder oder Wiesel zu erlegen, sobald er wieder mit ihm zur Beize gehen würde. Also nahm er die Pasteten und wandte sich ab.
Während David seine Mahlzeit gierig herunterschlang, obwohl ihn sein verletzter Kiefer schmerzen musste, kaute William nur lustlos auf seiner Pastete herum und gab dem Jungen schließlich noch die Hälfte davon ab.
Zur Nacht legten sie sich dicht nebeneinander auf den harten, staubigen Boden. Schon nach wenigen Atemzügen war David eingeschlafen. Aber auch seine Nächte waren seit Enids Tod nicht mehr so ruhig und friedlich wie früher. Manchmal jammerte und wimmerte er, dann wieder grub sich eine tiefe Falte in seine Stirn, als dächte er angestrengt nach. William betrachtete David still. Er fürchtete sich davor, ebenfalls einzuschlafen, und bemühte sich angestrengt, die Augen offen zu halten. Wann immer er sie schloss, sah er Enid und das Kind, wie sie in ihrem klammen, dunklen Grab lagen. Dann schauderte er, und seine Eingeweide zogen sich wie im Krampf zusammen. Um dem Schmerz zu entgehen, versuchte William, so lange wie nur irgend möglich wach zu bleiben. Irgendwann jedoch fielen ihm die Augen vor Müdigkeit zu.
Kaum waren die Umrisse der Bäume im frühen Morgengrauen zu erkennen, da standen auch schon die ersten Reisenden auf und weckten die anderen durch ihr geschäftiges Treiben. Aus Angst, bestohlen zu werden, hatte wohl keiner fest geschlafen. Noch ehe die Sonne aufging, waren fast
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