Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
alle auf den Beinen und bereiteten sich auf die Weiterreise vor. Viele waren an diesem Morgen schweigsam, manche schauten vor Erschöpfung griesgrämig drein, andere waren bärbeißig und streitsüchtig.
William hatte zu den Ersten gehört, die in der Morgendämmerung aufgestanden waren, während David weder von der Aufbruchstimmung um sich herum noch von der aufgehenden Sonne geweckt worden war. Erst als William ihn kräftig rüttelte, rieb er sich verschlafen die Augen und erhob sich umständlich.
Die Landschaft, durch die sie in den vergangenen Tagen gewandert waren, hatte William kaum wahrgenommen, nun aber achtete er auf jede Veränderung. Je näher sie London kamen, desto dichter lagen die kleinen Siedlungen beieinander, durch die sich die Landstraße schlängelte. Sie waren gepflegt; den Menschen hier schien es sehr gut zu gehen. Hübsche Häuser mit großen Gärten und Bäumen, in deren Schatten Kinder spielten, säumten die Straße und wirkten überaus friedlich.
Am späten Vormittag endlich erhaschte William von einem Hügel aus den ersten Blick auf London. Wie angewurzelt blieb er stehen. Die Stadt war von einer dicken Mauer aus Stein umgeben, die Würde und Sicherheit ausstrahlte. In regelmäßigen Abständen war das schützende Gemäuer mit wuchtigen Wachtürmen bestückt. Vermutlich so gut wie uneinnehmbar, dachte er, beeindruckt von dem atemberaubenden Anblick.
Plötzlich jedoch wurde er von den anderen Reisenden vorangeschoben.
»L os, weitergehen! « , brüllte jemand hinter ihm.
William überließ sich dem immer stärker werdenden Gedränge der Massen, die stadteinwärts strebten. Scharenweise zwängten sich Menschen und Tiere zum Tor hinein oder heraus. London besaß sieben solcher zweiflügeligen Tore, hatte er gehört. Ob es bei jedem derlei Gedränge gab? Er tastete nach Davids Hand und hielt sie fest, um in der Menge nicht von ihm getrennt zu werden.
Während sie das Stadttor inmitten des Menschenstroms mühsam passierten, achtete William vor allem auf David und beschützte den Habicht vor Knüffen. Dass man ihm selbst Ellenbogen in die Rippen stieß und auf die Zehen trat, konnte er jedoch nicht verhindern. Jenseits des Tores schließlich verteilte sich die drängende Menschenmenge ein wenig, denn viele Straßen waren hier breit genug, dass zwei Ochsenfuhrwerke aneinander vorbeifahren konnten und auch Fußgänger noch genügend Platz fanden. William und David folgten dem Weg, den die meisten einschlugen.
Erstaunt bemerkte William die vielen kostbar gekleideten Damen und Herren, die mit Falken auf der Faust durch die Stadt stolzierten. Die wenigsten von ihnen trugen ihre Vögel jedoch mit der gebührenden Achtung. Für die meisten, so hatte es den Anschein, waren die Greifvögel nichts als teurer Zierrat, dazu angetan, Wohlstand zu zeigen.
William bemerkte, wie argwöhnisch ihn die herausgeputzten Menschen ansahen, und dass manch einem der vornehmen Herren bei seinem Anblick das selbstherrliche Lächeln verging. William wusste, dass seine heruntergekommene Kleidung so gar nicht zu seiner eleganten Handhaltung und dem edlen Habicht auf seiner Hand passen wollte. Mehr als ein Mal sah man ihm argwöhnisch nach und tuschelte kopfschüttelnd über ihn.
William sprach einige dieser Herren an und fragte nach Arbeit. Doch vergebens. Er hatte keinen Fürsprecher und konnte sich auch nicht auf seine Lehrzeit in Thorne berufen, weil er wie ein Verbrecher von dort geflohen war. Die Kaufleute, die er ansprach, begegneten ihm mit Hochmut und übertriebenem Argwohn. Sie schienen zu fürchten, dass er sie berauben oder ihren Tieren schaden wolle.
Erneut flammte Verzweiflung in William auf: War nicht gerade sein Wunsch, wieder Falkner zu sein, die Wurzel allen Übels gewesen und schuld am Tod Enids und des Kindes? Er senkte den Kopf. Tränen brannten in seinen Augen. Nein, er hatte kein Recht auf Glück! Er hatte zu büßen! Doch was war mit David? Hatte der Junge nicht schon genug gelitten? William straffte die Schultern. Er musste für ihn sorgen; er durfte nicht zulassen, dass David zu all seinem Kummer auch noch Not litt.
Ohne zu ahnen, wohin der Weg führte, bog William in die Bread Street ein, wo ein Bäcker neben dem anderen seine duftenden Waren feilbot. Gleich darauf verfluchte er seine Wahl, denn David zupfte ihn prompt am Ärmel und führte mit vor Heißhunger leuchtenden Augen die Hand zum Mund.
Der Junge hatte wirklich immer Appetit, und die Brotpreise waren horrend! William stöhnte.
Weitere Kostenlose Bücher