Der Skandal (German Edition)
wieder Schneefall angesagt. Du solltest dich besser auf den Weg machen.« Er greift zu Wollmütze und Helm, zieht seine Jacke an, dann öffnet er die Tür und wartet, bis sie schließlich auch ihre Jacke anzieht und an ihm vorbeigeht.
»Fahr vorsichtig! Und alles Gute für Jay!«, sagt er noch, als sie ihren Wagen aufschließt. »Und … sorry, dass du den ganzen Weg umsonst gemacht hast.«
Sie sagt betont gleichgültig: »Das kommt vor.«
Als sie losfährt, hebt er langsam die Hand. Christina bemerkt noch, dass er nachdenklich aussieht. Sie weiß, dass er gelogen hat.
Es ist nicht nur der Hunger, der Christina nach Ashland zurückfahren lässt. Sie will sich bei den Einwohnern umhören, bevor sie sich an öffentliche Stellen wendet.
Ashland ist tief unter Schnee begraben. Der See breitet sich aus wie eine endlose weiße Eisfläche, die im neblig weißen Dunst in den Himmel übergeht. Die Schneehaufen rechts und links der Straße und neben den Parkplätzen sind erdrückende zwei oder gar drei Meter hoch. Die Autos – neben den Ampeln und den Schaufenstern die einzigen Farbflecken im winterlichen Grauweiß – quälen sich durch die Kälte und ziehen eine Wolke aus dichtem weißen Qualm hinter sich her.
Sie sucht sich im erstbesten Restaurant einen Platz. Über dem Eingang hängt ein blau leuchtender Fisch in einem Netz, und irgendwie hat sie das einladend gefunden.
Drinnen herrschen heimeliges Dämmerlicht und einladende Geräusche. In der Küche zischt die Fritteuse, die Kaffeemaschine brodelt, die Mikrowellen klingeln, und vom Nebentisch dringt das Gelächter von drei jungen Frauen zu ihr. Christina bestellt sich einen Hamburger und Kaffee.
An der Theke sitzen vier Männer, zwei von ihnen sind sicher die Fernfahrer, deren Trucks vor dem Diner parken. Hier war offenbar eine Menge los, denn die Bedienung deckt die Tische neu.
Wenn sie mit Aaron unterwegs ist, lassen sie solche Restaurants aus, zu viel Fett, zu wenig Vitamine – und zu viel Fleisch.
Ob er immer noch sauer ist wegen der Sache mit Travis Raymond? Sie nimmt ihr Handy und wählt seine Nummer.
Er klingt reserviert, als sie sich meldet.
»Hast du die Patientenakten durchgesehen?«, fragt sie.
»Bist du noch da oben?«
»Ja.
»Willst du mir immer noch nicht sagen, was du da treibst?«
»Ich erkläre es dir später.«
Sie hört ein Seufzen. Dann sagt er: »Ich war im Archiv, hab alles durchgesehen, was die Spurensicherung aus der Praxis mitgenommen hat. Es gibt keine Akte Kondracki. Warum ist das überhaupt so wichtig? Wer ist dieser Kondracki?«
Soll sie ihm die Wahrheit sagen? Besser erst einmal nicht. »Der Name steht in Tims Organizer. Aber Kondracki leugnet, er sagt, er hätte nie einen Termin gehabt, weder er noch seine Frau. Gibt’s sonst noch was?«
»Der Pizzabote ist verschwunden. Er hat keine Aufenthaltsgenehmigung und natürlich auch keine Arbeitserlaubnis.«
»Also wieder eine Sackgasse.«
»Sieht ganz so aus. Ich muss Schluss machen.«
Bevor sie noch etwas fragen kann, hat er das Gespräch beendet. Ohne sich zu verabschieden.
»Ihr Kaffee!« Die Bedienung, eine Frau um die vierzig mit verwaschenen Gesichtszügen und rot geäderten Wangen, stellt ihr mit einem Lächeln den Becher auf den Tisch.
»Der Hamburger kommt gleich. Müssen Sie heute noch weiter?«
»Ja.«
Sie seufzt, es hört sich aber eher an wie ein Schnaufen. »Es soll wieder schneien.«
Christina macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ich fahr gleich.«
»Oh nein, das mein ich nicht! Sagen Sie das bloß nicht meinem Chef, der denkt sonst noch, ich würde die Gäste vergraulen!« Sie verzieht den Mund zu einer Grimasse.
»Ich habe die Mine hier besichtigt«, sagt Christina gerade, als ihr Handy anzeigt, dass sie eine Mail bekommen hat.
»Sie meinen die Redmill Mine? «, fragt Dani, wie Christina auf ihrem Namensschild liest.
»Was halten die Leute hier in der Gegend davon?«
»Sind Sie von der Zeitung?«, fragt Dani neugierig.
»Nein, aber ich habe einiges darüber gelesen.«
»Die Mine geht wie ein Riss durch unseren Ort«, meint Dani mit einem Seufzer. »Die einen wollen sie, die anderen nicht. In den Fünfzigern haben sie hier schon dieses Neodym gefördert. Das brauchte man für die Farbfernseher. Aber dann wurde alles zu teuer, und man hat es importiert. Außerdem wusste man nicht mehr, wohin mit dem Abfall.«
»Dem Abfall?«
»Na ja, mit dem, was sie da sonst noch rausholen. Das Neodym kommt nicht so in der Erde vor, so wie Erdöl,
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