Der Sodom Kontrakt
Sprechen Sie von Menschen, die nach 1969 verstorben sind, als ob sie noch unter uns weilen würden.
4. Erwähnen Sie keine aktuellen Politiker, Schriftsteller, Filmschauspieler, Musiker oder ihre Werke, die nach 1969 aktiv oder produziert waren.
5. Bitten Sie mich, etwas von Jefferson Airplane zu spielen.
6. Fassen Sie nichts an und machen Sie nichts kaputt.
Werfen Sie Ihren Ausweis oder eine andere Legitimation in den Briefkasten und kommen Sie in einer halben Stunde wieder. Dann werde ich Sie empfangen.
Falls Sie gegen eine dieser Regeln verstoßen, breche ich sofort den Kontakt ab und Sie müssen mein Haus verlassen.
Peace, Sundance Taverner
“ Was ist das denn für ein Spinner? Ich glaub es einfach nicht.”
“Sieht nach einem Exzentriker aus.”
“Passt überhaupt nicht zu Harry. Er kannte zwar eine Menge Idioten, aber so was...”
“Die Sixties-Musik wird das Bindeglied sein. Sie hat mich auch mit Harry verbunden. Wir sind beide große Fans der Musik der sechziger Jahre. Harry stand mehr auf amerikanische Bands ab 1967. West Coast und Doors. Ich bin mehr ein Fan der frühen sechziger. Alles bis Sergeant Pepper.”
Monika musterte ihn ironisch. “Da haben Sie jedenfalls ausreichend Gesprächsstoff mit diesem Taverner. Auch wenn es Ihnen schwerfällt, vergessen Sie nicht, sich etwas von Jefferson Airplane zu wünschen.”
“Auf die stand ich nie. Er wird sich wohl damit zufrieden geben müssen, dass ich nach White Rabbit frage.” Gill zog einen Ausweis aus seiner Jacke. Auf einen Zettel kritzelte er eine Nachricht und warf ihn mit dem Ausweis in den Briefschlitz.
“Was haben Sie geschrieben?”
“Das ich ein Freund von Harry bin und die kompletten Airplane für eine Note von Johnny Kidd and the Pirates in den Mülleimer knalle.”
Monika kicherte. “Musik-Fans haben alle eine Macke. Was machen wir die halbe Stunde? Etwas zu kalt, um hier rumzustehen.” Sie deutete auf eine Kneipe ein paar Meter weiter. “Trinken wir einen Kaffee, oder?”
“Genau. Und dabei erzähle ich Ihnen alles über Johnny Kidd.”
“Ich kann es kaum erwarten. Unter dieser Bildungslücke leide ich seit der Pubertät.”
“Kennen Sie Shakin’ All Over?”
“Das kennt nun wirklich jeder. Von den Lords.”
Gill verdrehte die Augen. “Die Lords haben es wie tausend andere nur nachgespielt. Komponiert wurde es von Johnny Kidd. Bob Dylan hat über den Song gesagt, er sei der beste Rhythm and Blues-Song, den ein Nicht-Amerikaner geschrieben hat.”
“Welch ein wunderbares Kompliment. Hängt bei Johnny bestimmt über dem Bett.”
“Hätte man ihm auf den Grabstein schreiben sollen. Kidd ist tot. Starb 1967 bei einem Autounfall.”
“Im Jahr von Sergeant Pepper. Das ist ja mehr als Schicksal. Schon echte esoterische Symbolik.”
“Wollen Sie mich verarschen? Passen Sie bloß auf. Bei Musik verstehe ich keinen Spaß!”
Sie hatten die Gaststätte erreicht und setzten sich ans Fenster mit Ausblick auf den idyllischen Hafen. Monika bestellte einen Kaffee und Gill eine Spa Orange.
“Kees hat mich vor diesem Spinner gewarnt. Taverner war in Woodstock. Als dann die Ideale der Hippies endgültig im Drogensumpf versanken, beschloss er, die Zeit zurückzudrehen und anzuhalten. Seitdem ist es in seinem Haus immer 1969. Habe nicht erwartet, dass es so ernst ist.”
Sie frotzelten weiter über Musik. Dann war es Zeit. Diesmal wurde beim ersten Klingeln geöffnet. Vor ihnen stand eine erstaunliche Erscheinung. Taverner war Anfang fünfzig, wirkte aber trotz des schulterlangen grauen Haares jünger. Er war furchtbar dünn und trug eine grellbunte Hüfthose, die selbst die härtesten Hippies in Height Ashbury das Fürchten gelehrt hätte. Die nackten Füße steckten in Mokassins mit Fransen. Auf seinem T-Shirt stand Fuck Jim Morrison. Er sah enthusiastisch aus, und in seinen freundlichen Augen waren die Pupillen viel zu groß. Wenn er lächelte, waren die Fältchen in seinem Gesicht kein Ausdruck seines Alters sondern seines humorvollen Wesens. Die Klausur hatte seinem Charme nicht geschadet. Taverner hatte seine Jungenhaftigkeit konserviert, und gealtert, ohne zuviel Schlimmes durchgemacht zu haben. Er musterte Monika und Gill und machte mit der rechten Hand Churchills Victory-Zeichen, das in den Sechzigern zum Peace-Zeichen der Jugendkultur mutiert war.
“Hi, Folks. Kommt rein.” Er sprach fast akzentfreies Deutsch. Monika und Gill gingen an ihm vorbei in das Haus. Starke Hitze schlug ihnen
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