Der Sog - Thriller
gut, danke, zwei neue Firmenkunden in diesem Monat). Als er seine Süßigkeiten zu Ende genascht hatte, verstummte das Gespräch, und er machte sich auf die Gezeitenwende gefasst. Suzette würde anfangen, Fragen an ihn zu stellen. Sie würde fragen, wie er zurechtkomme. Sie würde wissen wollen, ob er zu einem Psychologen gehe. Sie würde ihm erklären, es sei in Ordnung zu weinen.
Doch Suzette blieb still. Sie saß einfach neben ihm, schleckte sich die Finger ab und fischte die letzen zuckrigen Brösel vom Grund ihrer Popcorntüte. Sie erweckte den Eindruck, als könnte sie noch eine Stunde lang so weitermachen.
» Deine neue Haarfarbe gefällt mir nicht«, sagte er, um das Schweigen zu brechen.
Sie leckte sich die Finger. » Scheiß drauf. Bryan gefällt sie.«
Sie sah ihn an. Ihre Augen waren von einem stählernen Blau, ihr Blick fest wie Granit. Er verstand, warum sie als Finanzberaterin so viel Erfolg hatte – kein Klient würde es wagen, ihr nicht zu glauben, wenn sie » Jetzt kaufen« sagte.
» Ich habe gehört, ein Junge ist verschwunden«, sagte sie.
Nicholas nickte.
» Sie haben ihn im Fluss gefunden …« Er wies mit dem Kinn nach Nordosten. » Ein paar Kilometer von hier.«
Suzette nahm den Blick nicht von ihm. » Mum sagt, er wurde ebenfalls ermordet.«
Ebenfalls ermordet. Er wusste, was sie meinte. Ermordet wie Tristram.
Er nickte wieder.
Ein stählerner Zug dröhnte vorbei und bremste seufzend ab, um am Bahnsteig zu halten. Männer in Hemden und Krawatten und Frauen in vernünftigen schwarzen Röcken stiegen aus und machten sich auf den Heimweg über den hölzernen Übergang.
Er sah, dass Suzette die Stirn runzelte. Es war dieselbe konzentriert finstere Miene, mit der sie früher Brüche am Esstisch gelöst und Zahlentabellen am Schreibtisch in ihrem Zimmer ausgewertet hatte. Wir ändern uns eben nicht. Die Muster, in die wir als Kinder verfallen, begleiten uns ein Leben lang.
» Was ist?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf – nichts.
Er blickte wieder zum Bahnhof. Auf dem Übergang befand sich nur noch eine Person: ein Mädchen in einem gelben Anorak. Aus dieser Entfernung war ihr Gesicht nicht klar zu erkennen und ihr Haar ein dunkler Stempel auf einer flauschigen, goldenen Blüte.
» Ich warte darauf, dass du sagst, ich hätte Cates Tod nicht verhindern können.«
Suzette knüllte die leere Popcorntüte zusammen und steckte sie in die Tasche. » Dass es ein Unfall war?«, fragte sie.
» Oder irgend so einen Scheiß, ja.«
Suzette nickte. » Na ja. Eigentlich glaube ich nicht an Unfälle.«
Nicholas sah sie wieder an.
» Was willst du damit sagen?«
» Ich sage nicht, dass es deine Schuld war.« Ihre Blicke trafen sich. » Aber … nichts geschieht ohne Grund.«
Er spürte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen.
» Komm mir nicht mit irgendwelchem Quatsch wie Gott hat sie zu sich in den Himmel geholt, Suze. Ich habe gesehen, wie sie …«
Er biss sich auf die Zunge. Er hatte sagen wollen, dass er Cate wieder und wieder von dieser unsichtbaren Leiter hatte stürzen sehen, dass ihre toten Augen ins Leere gestarrt und dann auf ihn gefallen waren, blank wie Schiefer, ohne eine Spur von der Person darin, die er geliebt und geheiratet hatte. Das war nicht der Himmel. Das war die Hölle. Er spürte, wie Suzette ihn beobachtete.
» Wenn Gott ewig ist, wenn Zeit keine Bedeutung für ihn hat, dann hätte er wohl noch ein paar Jahre auf sie warten können«, schloss er.
Auf dem Fußgängerüberweg zog das Mädchen im gelben Anorak ihren Ärmel hoch. Um auf die Uhr zu sehen, nahm Nicholas an. Jemand, den sie treffen wollte, hatte sich verspätet. Aber dann stieg sie auf das Geländer der Überführung, balancierte noch eine Sekunde lang und machte einen Schritt ins Leere.
» Großer Gott!« Nicholas sprang auf, und sein Atem fing sich wie ein Haken in seiner Kehle.
Das Mädchen lag einen Moment lang reglos auf den Schienen. Ihr Arm hob sich ein wenig, als sie sich aufzusetzen versuchte … dann schien ihr Anorak auseinanderzufliegen. Sie wurde zu einem kleinen, gewalttätigen Sturm aus Federn und Rot, als ein unsichtbarer Zug über ihren Körper fuhr und rosa Fleisch, ein Bein und gelbe Fetzen dreißig Meter weit über das Gleis mit sich schleifte. Dann war sie verschwunden.
» Alles in Ordnung?«, fragte Suzette. » Nicky?«
Nicholas sah seine verräterische Hand auf die Gleise zeigen und zwang sich, sie sinken zu lassen.
Suzette schaute mit zusammengekniffenen Augen zur
Weitere Kostenlose Bücher