Der Sog - Thriller
dann berichtete sie von Nicholas’ Rückkehr aus London, vom Verschwinden des kleinen Thomas, und wie man ihn später mit durchschnittener Kehle gefunden hatte. Der Mann, der seine Ermordung gestanden hatte, war wenige Tage nach dem Verbrechen im Gefängnis gestorben. Katharine beobachtete Mrs. Ferguson aufmerksam. Die ältere Frau atmete tief durch die Nase.
» Jedenfalls hat mich das alles an den Tod von Nickys Freund Tristram erinnert«, sagte Katharine.
» Natürlich«, erwiderte Mrs. Ferguson. » Alles ziemlich ähnlich, nicht wahr?«
Katharine nickte. » Suzette hat mich gefragt, ob ich mich an Mrs. Quill erinnere.«
Sie sah ihr Gegenüber an. Mrs. Ferguson sagte nichts. Sie nickte Katharine zu fortzufahren.
» Mrs. Quill«, wiederholte Katharine. » Sie hat Suzie früher Angst gemacht, erinnern Sie sich? Wissen Sie …« Sie suchte nach den richtigen Worten. » Warum glauben Sie, hat die Frau sie beunruhigt?«
Mrs. Ferguson machte erneut einen ihrer langen Atemzüge. » Ich habe von dem Tag an, an dem ich meinen Obstladen gepachtet habe, bis zu dem Tag, an dem ich die Läden für immer schloss, neben Mrs. Quill gearbeitet. Und in dieser ganzen Zeit habe ich die Frau nicht eine Sekunde lang gemocht.«
» Warum nicht?«
Mrs. Ferguson nahm Katharine fest ins Visier. » Baobhan sith.« Dann lachte sie und schüttelte den Kopf. » Unsinn! So hat meine Großmutter immer geredet, die alte abergläubische Schottin. Ich bin einfach nie warm geworden mit Quill. Sie war immer höflich. Hat immer gegrüßt. Und ihre Miete hat sie auch immer pünktlich bezahlt, auch wenn niemand wusste, wie sie in dieser Kurzwarenhandlung einen müden Dollar verdient hat. Es gab Tage, an denen ich keine Menschenseele ihren Laden betreten sah.« Mrs. Ferguson zuckte mit den Achseln und sah Katharine wieder an. » Aber nachts, wenn ich hinten noch Obstsalat aus angeschlagener Ware gemacht oder aufgeräumt habe, und ich wusste, Quill war noch in ihrem Laden zwei Türen weiter …« Sie schauderte. » Ich wäre nie zu ihr hinübergegangen. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich es täte, würde ich nicht mehr zurückkommen. Es war ehrlich gesagt ein Freudentag, als ich hörte, dass ihre Schwester im Lotto gewonnen und ihr ein Haus in Hobart gekauft hat.«
Katharine runzelte die Stirn. » Ich habe gehört, sie ist nach Ballina gezogen und dort gestorben.«
Mrs. Ferguson zog die Brauen hoch. » Ach ja? Komisch, ich habe nämlich außerdem gehört …«
Sie blickte aus dem Fenster auf den sanft schwankenden Callistemon hinaus. Bienen summten über den roten, flauschigen Blüten. Vor die Sonne hatten sich Wolken geschoben, und der Tag war trüb und kühl geworden. Mrs. Ferguson blieb stumm.
» Pam?«, sagte Katharine. » Pamela?«
Mrs. Ferguson zuckte beim Klang von Katharines Stimme zusammen und drehte sich um. Sie riss überrascht die Augen auf.
» Katharine! Was tun Sie denn hier? Wie nett. Warten Sie …« Die Frau schlurfte zum Wasserkessel und schaltete ihn an. » Ich sollte ja eigentlich im Laden sein, aber ich bin heute nicht ganz auf der Höhe. Wie geht es Ihrem Donald? Und wo ist die kleine Suzette?«
Mrs. Ferguson sah sich im Zimmer um. Katharine wurde klar, dass ihre Unterbringung im Betreuten Wohnen keine vorübergehende Maßnahme war.
» Sie ist zu Hause, Pam. Nicky ebenfalls.«
» Oh.« Mrs. Ferguson war enttäuscht. » Sie sehen ein bisschen krank aus, Katharine.«
» Es geht mir gut. Darf ich Sie etwas fragen, Pam?«
» Fragen Sie nicht nach Limonen. Im Großmarkt wollen sie achtzig Cent für das Pfund, und das zahle ich nicht.«
» Nein. Was ist eine …« Sie hoffte, sie sprach es richtig aus. » Was ist eine baobhan sith?«
Mrs. Fergusons Augen leuchteten. » Baobhan sith? Das habe ich nicht mehr gehört, seit meine Oma gestorben ist. Komisches altes Haus. Sie war überzeugt, dass es in ihrer Straße eine gegeben hat, als sie ein junges Mädchen war.« Mrs. Ferguson sah Katharine heimlichtuerisch an. » Die weißen Frauen der Highlands. Sie erscheinen manchmal in einem grünen Kleid. Sind vor allem nachts unterwegs. Sie verführen junge Männer, bezaubern sie mit ihrem Tanz … und dann trinken sie ihr Blut.« Sie lachte über die Dummheit solcher Geschichten.
Katharine blieb noch eine Weile und wartete, bis Mrs. Ferguson wieder aus dem Fenster starrte, ehe sie leise aufstand und sich aus dem Zimmer schlich.
Sie war froh, als sie wieder in ihrem Wagen saß.
Singen.
Eine Frauenstimme aus der Dunkelheit,
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