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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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ein schwacher Sirenengesang, an dem der Wind eifersüchtig zerrte.
    Bewusstsein stieg aus dem Nichts auf wie eine Blase, die langsam in einem nächtlichen Meer zur Oberfläche trieb. Nicholas wurde gewahr, dass er sich bewegte. Seine Füße und Hände fühlten sich an, als wären sie tausend Meilen entfernt, eiskalt und unerreichbar. Er hatte keine Gewalt über Arme, Beine, Lippen, Lider. Doch er konnte das leichte Heben und Senken seiner Brust spüren, wenngleich auch ein Gewicht darauf lag. Er hörte Blätter rascheln, ein brandungsähnliches Flüstern.
    Er lag auf dem Rücken, und doch bewegte er sich. Unter seinem Rücken, seinem Gesäß, der Rückseite seiner Oberschenkel und Waden, der Unterarme und dem Kopf bewegten sich Tausende winziger Knöchel. Er wollte sich zwingen, tiefer zu atmen, aber seine Lungen behielten ihre flache Atmung bei, als hätten sie sich unter einem Gewicht abzumühen.
    Der Gesang wurde deutlicher: »… das Gesicht so weich und wundersam hell …«
    Die Frauenstimme klang schön und hoch. Wo war er?
    Öffne die Augen.
    Er konnte es nicht. Er versuchte erneut, tief zu atmen, doch seine Lungen gehorchten ihm nicht und fuhren mit ihrem flachen Rhythmus fort. Eine Erinnerung tauchte auf: Ich wurde vergiftet.
    » … die Augen so klar und die Hände so stark …«
    Er wurde eine Steigung hinaufgetragen. Langsam und bruchstückhaft kamen Erinnerungen an seine letzten klaren Momente zurück: das Boot, der Himmel, die alte Frau, die wilden Erdbeeren, der Saft, die blutenden Löcher in seiner Hand …
    Öffne deine Augen.
    Er versuchte es wieder. Es ging nicht. Er war tief in sich selbst gefangen; nur seine Ohren waren unbeeinträchtigt und ließen das Trippeln der kleinen Beine unter ihm und den leiernden Gesang durchklingen.
    » … ich liebe den Boden, auf dem er steht …«
    Öffne die Augen. Du kannst dich nicht gegen etwas wehren, das du nicht siehst.
    Doch eine zweite Stimme in Nicholas’ Kopf meldete sich ebenso laut: Bist du dir sicher, dass du es sehen willst? Er erinnerte sich, wie das Fleisch des Hunds abgefallen war und die riesige Spinne dort gesessen war, mit stumpfen, stachligen Haaren auf den langen, vielgliedrigen Beinen und funkelnden schwarzen Augen. Dann blitzte eine weitere Erinnerung auf. Der Namenszug auf dem Boot: Cates Überraschung.
    War das eine Erinnerung? Oder eine Halluzination, hervorgerufen durch …
    Wie haben dir meine Erdbeeren geschmeckt?
    Etwas Dunkles kochte in ihm auf. Zorn.
    Was es auch war, es war gemein, dachte er.
    Er konzentrierte sich auf seinen Zorn, fachte die Glut an, brachte sie zum Lodern. Was erlaubt sie sich? Wie kann sie es wagen, Cates Namen zu benutzen? Sein Herz hämmerte. Er befahl seinen Lungen, tiefer zu atmen. Die Luft strömte ein.
    » … ich liebe den Boden, auf dem er steht …«
    Okay. Öffne die Augen.
    Nicholas packte in Gedanken die glühende Kohle in seinem Bauch, ließ sie brennen und schmerzen. Gut. Jetzt beweg sie aufwärts. Er hob den grellen Schmerz an eine Stelle hinter seinen Augen. Vergiss, was du vorhin gesehen hast. Du weißt nicht, was wirklich war und was nicht. Was zählt ist, was du jetzt siehst.
    Er schloss seine Phantasiefaust grimmig entschlossen um die Kohle, ließ den Schmerz und den Zorn schärfer und heller werden und fokussierte ihn wie den Brennpunkt eines Vergrößerungsglases auf die Stelle hinter seinen Augen. Bist du bereit? Mach sie auf!
    Ein Augenlid schob sich einen Spalt weit auf.
    In dem düsteren Licht sah er, dass das Gewicht auf seiner Brust keine vergiftungsbedingte Halluzination war. Wie eine zerrupfte, missgebildete Katze saß dort die Spinne Garnock. Alle ihre acht höllischen, ungerührten Augen schienen auf Nicholas’ Gesicht gerichtet zu sein – und sie hatten die Bewegung seines Augenlids bemerkt. Die Vorderbeine der Spinne regten sich und bereiteten sich darauf vor zuzupacken.
    Du lieber Himmel, dachte Nicholas. Ich werde bestimmt verrückt.
    Die beiden gekrümmten Giftzähne der Spinne waren dunkel wie Ebenholz und saßen in Haaren in ihrem Kopf; darunter hingen zwei geschwollene, gräulich-rosa Säcke. Die Spitzen der Zähne waren tückisch scharf und glänzten. Sie klackerten aneinander, ein knöchernes Geräusch wie von Stricknadeln, das überraschend laut klang.
    » Wirklich?«, ertönte die Stimme der alten Frau. » Nun, wir sind jedenfalls hier. Setzt ihn ab.«
    Nicholas spürte, wie sich die knöchelartigen Höcker unter ihm zurückzogen, erst von seinem Kopf – den sie

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