Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
erscheinen, raubte ihnen jedoch die Form, verschmolz Blau- und Grüntöne, tötete rote und gelbe ab. Es war kurz nach vier Uhr nachmittags, doch tief hängende Winterregenwolken taten sich zusammen, um einen frühen Abend einzuleiten.
    Dampf stieg auf, als Nicholas Tee eingoss.
    » Zucker?«, fragte er und stellte ein Päckchen mit Würfel vor seine Schwester.
    » Hab ich aufgegeben«, erwiderte Suzette und griff nach der Tasse.
    Sie zögerte, dann warf sie drei Stück Zucker in ihren Tee. » Scheiß drauf.«
    Ihr Blick ging auf Nicholas’ Hand. Er erinnerte sich, wie ihre Miene von leicht zynisch zu bleich vor Angst gewechselt war, als sie die Einstiche in seiner Hand gesehen hatte. Im Augenblick sah sie aus, als könnte sie jeden Moment zu weinen beginnen. Und warum auch nicht? Er hatte sie soeben an Bord des Schiffs Flip-out gepfiffen und die Segel in Richtung Wahnsinnsinseln gesetzt.
    Sie tranken schweigend ihren Tee und lauschten dem Brandungsgeräusch von Reifen auf nassem Asphalt.
    Es war etwa eine Stunde her, seit er ein scharfes Klopfen an seiner Eingangstür gehört hatte. Er hatte rasch die Papiere versteckt, die er auf dem schadhaften Kaffeetisch ausgelegt hatte, und seiner durchnässten und furchtbar blassen Schwester die Tür geöffnet.
    » Ich glaube dir«, hatte sie gesagt.
    Er ließ sie ein, gab ihr ein Handtuch, setzte Teewasser auf. Er fragte sie, was ihren Gesinnungswandel herbeigeführt hatte.
    » Quill hatte einen kleinen, weißen Hund«, erklärte Suzette. Im selben Moment rutschte Nicholas die Tasse aus den tauben Fingern, und überall ergoss sich heißer Tee und spritzten Porzellansplitter. Als sie ihm aufwischen half, bemerkte sie den Papierstapel, den er eilig unter den Kaffeetisch geschoben hatte.
    » Was sind das für Papiere?«, hatte sie gefragt.
    Er hatte so unbeholfen gelogen, dass sie die Unterlagen einfach aufgehoben und durchgeblättert hatte. Dann war es an ihr gewesen, erschrocken zu verstummen.
    Jetzt lagen die A4-Seiten wieder ausgebreitet auf dem Tisch: Ausdrucke alter Schwarzweißfotos von Nicholas’ Recherche in der Staatsbibliothek. Das Ochsengespann und die aufgegebene Wasserleitung. Die Begräbnisse der Landvermesser und Auktionatoren. Die alten Immobilien-Flugblätter. Das beunruhigende Bild des Ladens in der Myrtle Street mit der geisterhaft verschwommenen Victoria Sedgely, die ihren weißen Hund im Arm hält.
    Er hatte ihr ein Bild nach dem andern erläutert. Der letzte Ausdruck lag nun mit der Bildseite nach unten in Suzettes Schoß; es war das Foto der Grundsteinlegung für die anglikanische Kirche durch Eleanor Bretherton. Als Suzette es gesehen hatte, war ihr Mund schmal geworden und ihre Augen nass und unscharf wie die vom Regen verschmierten Fenster.
    » Quill«, hatte sie geflüstert und das Bild dann umgedreht, damit sie es nicht ansehen musste.
    Er hatte eine neue Kanne Tee gemacht, während sie sich sammelte. Und seitdem saßen Bruder und Schwester beisammen und versuchten, das Unmögliche zu glauben.
    » Es ist …« Suzette schüttelte den Kopf.
    » Es braucht eine Weile«, sagte Nicholas. Er beobachtete sie sorgfältig.
    » Hast du noch andere Dokumente zu Eleanor Bretherton nachgesehen?«
    Er nickte.
    » Und?«
    » In einem Artikel der Ipswich Times wird eine Spende für Kinder mit Rachitis durch das » philanthropisch gesinnte ältere Fräulein E. Bretherton« erwähnt. Das ist alles.«
    Suzette schwieg. Sie wandte den Kopf und sah aus dem Fenster, in Richtung Wald.
    » Ich weiß nicht, was ich denken soll.«
    Sie stellte ihren Tee ab, fasste das Foto von Eleanor Bretherton vorsichtig an den Ecken und blickte angestrengt ins Gesicht der alten Frau. Sie war in den Sechzigern, hatte die Stirn gerunzelt und starrte in die Linse, als versuchte sie sie zu durchdringen und sich den Fotografen zum Zwecke späterer Bestrafung einzuprägen. An genau diesem Gesicht waren sie fast jeden Tag auf ihrem Heimweg von der Schule vorbeigekommen, und es hatte immer kühl aus dem düsteren Laden über die Nähmaschine hinweg herausgespäht. Suzette gab das Bild Nicholas zurück, und er legte das Blatt zu den andern.
    » Das ist sie doch, oder?«
    » Mrs. Quill? Ja.« Suzette schlang die Arme um ein Knie.
    Nicholas nickte. » Das ist noch nicht alles«, sagte er. » Bist du bereit, es dir anzuschauen?«
    Sie sah ihn an und zuckte mit den Achseln.
    Aber bin ich bereit?, fragte er sich. Er holte tief Luft, griff in seine Tasche und entnahm ihr ein weiteres Bündel

Weitere Kostenlose Bücher