Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
Menschenauge schwer von den Männern zu unterscheiden. Vor allem dann, wenn sie sich Helm und Harnisch angelegt hatten und nach Orksitte von oben bis unten mit Schlamm bedeckt waren.
Insofern zweifelte Dalmon einen Augenblick daran, ob er wirklich richtig gesehen hatte. Womöglich spielte ihm seine Fantasie einen Streich. Die Wüsten der Orkländer waren dafür bekannt, dass man dort seinen Sinnen bisweilen nicht trauen durfte. Jene, die es in die tieferen Regionen der Aschedünen verschlagen hatte, wollten dort flirrende Bilder von nicht vorhandenen Wasserflächen oder Traumstädten gesehen haben. So unter anderem Dalmons Vater, der einst einen Feldzug dorthin unternommen hatte, aber schließlich mehr oder minder unverrichteter Dinge, aber mit erheblich dezimierter Reiterschar zurückgekehrt war.
» Das ist kein Orkheer, sondern ein ganzer Stamm mit Sack und Pack, Kindern und Weibern!«, rief Dalmon jedoch schließlich. Ihm waren die Gepäckstücke aufgefallen, die auf die Rücken der Hornechsen geschnallt waren, und er sah auch hier und dort Säuglinge in den Armen ihrer Mütter. Die Orks waren barbarische Kreaturen, und im Kampf konnte selbst ein Orkkind ein äußerst gefährlicher Gegner sein. Aber noch nie hatte der Herzog erlebt oder auch nur davon gehört, dass sie ihre Säuglinge mit aufs Schlachtfeld brachten.
Ein durchdringender Laut übertönte auf einmal alles andere, selbst das Stampfen der Hornechsenpranken. Dalmon fühlte einen bohrenden Schmerz im Ohr und konnte den eigenen Schrei, den er ausstieß, nicht mehr hören.
Auch Nomsal von Eas war einen Moment vollkommen konsterniert und nicht in der Lage, das Zeichen zum Beschuss der vermeintlichen Angreifer zu geben, und als er Dalmon einen fragenden Blick zuwerfen wollte, sah er, dass dieser nach vorn preschte, den Orks geradewegs entgegen. Nomsal senkte daraufhin das Schwert, denn nun befand sich der Herzog in der Schusslinie. Hatte der Herzog den Verstand verloren? War er angesichts der Übermacht dem Wahnsinn verfallen?
Die Hornechsen wurden langsamer und kamen schließlich zum Stehen. Der durchdringende Ton verstummte. Herzog Dalmon hielt auf die Front der Hornechsenreiter zu. Fassungslos schauten seine Männer ihm nach. Dann zügelte Dalmon sein Pferd.
Ein Ork mit einem langen, sehr breiten gebogenen Schwert ritt auf seiner Hornechse auf ihn zu. Er stieß einen Schrei aus, woraufhin die Klinge des Schwerts zu vibrieren begann und erneut jenen unerträglich durchdringenden Ton erzeugte, der Dalmon und seinen Männern zuvor fast die Sinne geraubt hatte. Er verklang, nachdem der Ork den Griff des Schwerts nicht mehr mit beiden Pranken umfasste. Ein Chor aus grunzendem Raunen war zu hören.
Der Ork steckte das Schwert in das Futteral auf seinem Rücken und rutschte von seiner Hornechse. Sein gebrüllter Befehl ließ das Tier zurück zu den anderen laufen, während sich der Ork gemessenen Schrittes dem Herzog näherte. Dalmon stieg ebenfalls von seinem Reittier und ließ es einfach stehen. Zehn Schritte ging er auf den Ork zu und wartete dann auf ihn.
» Du musst Rhomroor sein, den man den Friedlichen Ork nennt oder auch den Ork mit dem Singenden Schwert.«
» So nannte man mich vor langer Zeit«, antwortete der Ork in einem beinahe perfekten Relinga.
» Lirandil hat mir von Euch erzählt, Rhomroor.«
» Und mir von Euch, Herzog Dalmon von Rasal. Euer Ross und Eure Rüstung tragen das Wappen, das Lirandil mir beschrieben hat. Euer Geschlecht hat es während der letzten Jahrhunderte offenbar etwas verändert.«
» Man erzählt, Ihr hättet eine Weile unter Menschen gelebt, Rhomroor.«
» Man erzählt vieles, Herzog.«
» Ihr seid einst Herr aller drei Orkländer gewesen, und Ihr sollt der Erste gewesen sein, der dieses Amt freiwillig aufgab.«
» Das ist der einzige Grund, weshalb ich noch lebe.« Rhomroor verzog sein hauerbewehrtes Maul, dass der Speichel heraustroff. » Keiner meiner Vorgänger starb eines natürlichen Todes, solange man sich erinnern kann.«
» Nennt man Euch deshalb den Friedlichen Ork?«
» Das ist nur die Übersetzung eines orkischen Schimpfworts.«
» Lirandil sagt, Ihr wärt schon dreihundertsiebzig Jahre alt.«
» Niemand weiß genau, wie alt ein Ork werden kann, aber ich hatte mir vorgenommen, es zu erforschen. Leider werde ich es wohl doch nicht erfahren, denn man hat mich aus der Einsamkeit der Aschedünen gerufen, um noch einmal mein Volk anzuführen. Zumindest diejenigen, die nicht dem Einfluss des Bösen
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