Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
allerdings und die Art der Gravur sind mir schon auf den ersten Blick aufgefallen.«
» Wenn jemand so weit gereist ist wie Ihr, dann ist es nicht verwunderlich, dass er alles kennt und auch die Herkunft einer solchen Waffe, eines Werkzeugs oder eines Schmuckstücks mit solcher Genauigkeit bestimmen kann«, sagte Gomlo und lächelte mild. » Und das, obwohl Ihr Euch selbst als einen noch jungen Fährtensucher bezeichnet.«
» Gemessen an dem Alter, das die Mitglieder meines Volkes erreichen können, bin ich das auch«, versicherte Lirandil. » Nicht einmal anderthalb Jahrtausende habe ich erlebt. Das ist nicht viel.«
» Was wäre denn nach Euren Maßstäben alt?«, fragte Arvan, und er war auf einmal ganz aufgeregt, denn er dachte an das Gesicht des uralten Elben, das er im Traum gesehen hatte. Lirandils elfenbeinfarbene Haut war vollkommen glatt, obwohl er im Vergleich zu den kurzlebigen Geschöpfen von Athranor bereits ein extrem hohes Alter erreicht hatte. Der Elb, den Arvan im Traum gesehen hatte, musste demnach schon unvorstellbar lange gelebt haben, denn die Spuren des Alters waren unübersehbar gewesen. Und das, obwohl Elben doch allgemein als alterslos galten.
» Warum fragst du das?«, fragte Lirandil.
» Ich hatte seltsame Träume.«
» So?«
» Ich sah einen Elben«, berichtete Arvan. » Ihm wurde ein Menschenkind gegeben. Aber dieser Elb trug Spuren des Alters, und seine Haut war nicht so glatt wie Eure.«
Lirandil schien sich nicht im Mindesten über das zu wundern, was er da zu hören bekam. » Kannst du sonst noch etwas über diesen Elben sagen?«
» Er trug ein Amulett. Ich könnte das Zeichen, das darauf zu sehen war, nachmalen, wenn mir jemand einen Bogen Papier und einen Stift bringt.«
» Ach, Junge, es war doch nur ein Traum«, meinte Brongelle. » Das ist sicherlich nicht wichtig.«
» Doch, es ist wichtig«, widersprach Lirandil sehr ernst. Er wandte sich an Gomlo. » Ihr habt gewiss Stift und Papier in Eurer Schreibkammer, werter Gomlo.«
» Natürlich!« Der Baum-Meister nickte beflissen. » Wie Ihr wünscht, Lirandil.«
Gomlo verließ den Raum, doch nur wenig später kehrte er zurück. » Papier, geschöpft in der Papiermühle von Folbo dem Sparsamen, und ein Bleistift, der in den Halm der Uferstauden gegossen wurde und aus echtem Blei besteht, nicht aus Grafit, so wie es uns Grebu empfohlen hat, nachdem er aus der Großen Stadt zurückgekehrt war.«
» Der Ratschlag des alten Grebu ist gut«, sagte Lirandil. » Die Striche treten bei einer Bleimine stärker hervor.« Er nahm Gomlo Bleistift und Papier aus den Händen. Umsichtig, wie Gomlo war, hatte er auch ein quadratisches Schreibbrett mitgebracht, wie man es auf dem Wohnbaum häufig als Schreibunterlage benutzte, wenn nicht gerade ein Tisch in der Nähe war. Arvan versuchte das Zeichen, das er im Traum auf dem Amulett gesehen hatte, aus dem Gedächtnis heraus zu zeichnen. Es war schwieriger, als er gedacht hatte. Die Erinnerung schien plötzlich zu verschwimmen.
Lirandil bemerkte sehr wohl, welches Problem Arvan zu schaffen machte, denn der Junge saß bewegungslos da, den Bleistift in der Hand und die Stirn gerunzelt. Da begann Lirandil Worte in elbischer Sprache zu murmeln.
» Warum verlangt Ihr etwas von dem Jungen, was er offenbar nur mithilfe Eurer Magie zuwege bringen kann?«, fragte ihn Brongelle, die wohl glaubte, ihren Sohn schützen zu müssen.
» Vielleicht sollte ich mich dazu aufsetzen«, meinte Arvan.
» Es braucht kein Kunstwerk zu werden«, beschwichtigte ihn Lirandil. » Folge einfach dem, was du fühlst. Zeichne, was du gesehen zu haben glaubst, und ziehe dich nicht selbst in Zweifel.«
» Aber…«, doch noch bevor Arvan seinen Einwand vorbringen konnte, berührte Lirandil mit den Fingerspitzen seine Stirn und murmelte abermals eine Formel.
Arvan spürte sein Herz auf einmal rasen. Warum wühlte ihn das alles so auf, mehr noch als jede der Gefahren, die er in letzter Zeit bestanden hatte?
Nicht denken. Handeln. Zeichnen! Arvan erschrak, als er erneut die Gedanken von Lirandil vernahm, so klar und deutlich, als hätte der Elb zu ihm gesprochen.
Und Arvan begann zu zeichnen. Mochten später alle über seine Ungeschicklichkeit im Umgang mit Bleistift und Papier lachen. Das taten sie sonst auch, und es war ihm in diesem Moment vollkommen gleich. Das Blei kratzte so hart über das Papier, dass sich die Linien noch in das Holz des Schreibbretts hineinritzten.
Lirandil beobachtete aufmerksam, was da
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