Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
was dieses Ufer betrifft, standen diese großen Bäume schon dort, bevor ich geboren wurde. Ich bin auf meinen Reisen bereits hier vorbeigekommen und habe mir ihre jeweiligen Besonderheiten gemerkt, sodass ich sie jetzt mit Leichtigkeit wiedererkenne.«
» Seit damals sind ja auch höchstens ein paar Jahrhunderte vergangen, und diese Bäume verändern sich ja bekanntermaßen nur sehr langsam«, ergänzte Zalea.
» Du hat es erfasst, Halblingmädchen«, sagte Lirandil. » Ich bin beileibe kein Seefahrer und kann gewiss nicht nach der Sonne oder den Sternen navigieren, aber ich kann mich durchaus an bestimmten Landmarken orientieren.« Er wies mit ausgestrecktem Arm ans Ufer. » Dieser Platz dort eignet sich hervorragend für ein Lager. Von dort aus werden wir dann die Küste entlang weitersegeln bis zum Hafen am Hof des Waldkönigs.«
Der Wind stand ausgesprochen günstig, und Arvan fragte den elbischen Fährtensucher, inwieweit die Luftgeister ihn kontrollieren konnten.
» Nur bedingt«, erklärte der Elb. » Und bisweilen ist es auch umgekehrt, sodass die Winde die Luftgeister beeinflussen. Doch diesen Wind haben ganz gewiss sie uns geschickt, um uns zu helfen.«
» So wie auch der Nebel, in den wir geraten sind, keinesfalls natürlichen Ursprungs war«, schloss Arvan.
Doch was das anging, wollte sich Lirandil nicht festlegen. » Wer will da schon eine genaue Unterscheidung treffen? Manchmal erscheinen die Kräfte der Natur wie Magie, und die Magie zeigt sich mitunter als Naturgewalt.«
» Glaubt Ihr, dass ich meine magischen Fähigkeiten ausbauen kann?«, fragte Arvan sehr ernst.
Der Elb hob die Augenbrauen. » Du?« Sein Tonfall deutete an, dass er den Gedanken für völlig absurd hielt, und sein nachsichtiges Lächeln konnte diesen Eindruck kaum mildern.
» Ich weiß, dass mein Talent im Vergleich zu den Magiern der Elbenheit furchtbar unbedeutend ist, und außerdem…«
» Ich habe es dir schon einmal gesagt: Du bist kein Magier, auch wenn du ganz bestimmt über die eine oder andere Fähigkeit verfügst, die zumindest Halblinge in Staunen versetzen. Aber es ist etwas anderes, Baumschafe mittels Gedankenkraft zu hüten, als wirklich Magie anzuwenden.«
» Arvans magische Kräfte sind jedenfalls stärker als die stärkste Magie eines Halblings«, mischte sich Neldo ein.
» Ihr Halblinge versteht nichts von Magie«, entgegnete Lirandil.
» Aber die Magische Essenz des Baumsaftes ist bei Euren Schamanen sehr begehrt«, wandte Zalea ein, » und bisher ist es keinem von ihnen gelungen, sie in gleicher Qualität herzustellen.«
» Die Herstellung dieser Essenz ist Handwerk und keine Magie«, hielt Lirandil entgegen. » Und was dich betrifft, Arvan: Ich habe schon einmal versucht, dir zu verstehen zu geben, dass nichts Besonderes an dir ist. Die Geistverschmelzung führt hin und wieder zu unerwünschten Nebenwirkungen– Hirngespinsten, Wahnvorstellungen und dergleichen mehr. Und du neigst ohnehin zur Selbstüberschätzung. Du solltest meine Worte als Warnung auffassen.«
» Als Warnung?«, wiederholte Arvan tief getroffen und enttäuscht.
Lirandils Blick ruhte einen Moment lang auf ihm, bevor er weitersprach. » Es wird nicht jedes Mal ein Elb zur Stelle sein, um deine Seele festzuhalten, damit sie nicht ins Jenseits entschwindet. Dass du mich gerettet hast, als die Orks hinter mir her waren, war außerordentlich mutig. Aber manchmal kann Mut auch töricht sein.«
Arvan schluckte. » Ehrlich gesagt…«
» …hast du darüber nicht weiter nachgedacht, nehme ich an«, fiel ihm der Elb ins Wort.
Arvan nickte. » So ist es«, gab er zu.
» Lass den Kopf nicht hängen. Es kann sein, dass aus dir trotz deiner Unvorsichtigkeit noch etwas Großes wird. Aber nicht, wenn du eines frühen Todes stirbst.«
Über den Langen See
Als sie das Ufer erreichten, dämmerte es bereits. Neldo sprang mit dem einen Ende des Taus in der Hand auf eine der Großwurzeln, die vom Baum her ins Wasser ragten. Sie bildete einen natürlichen Steg von fast fünf Halblingschritten Breite.
Später saßen sie am Feuer, dessen Wärme den letzten Rest Feuchtigkeit aus Arvans Kleidung vertrieb. Der Himmel war dunstig, es waren kaum Sterne zu sehen, und der Mond war nicht mehr als ein verwaschener Lichtfleck. Arvan lauschte den Geräuschen des Waldes, die ihn doch eigentlich von frühester Kindheit an so vertraut waren. Aber an diesem Abend kamen sie ihm fremdartig vor, und mit dieser Empfindung schien er nicht allein zu sein.
» Ich
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