Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
Wetteinsatz vervielfacht.
Arvan spürte eine Hand auf seiner Schulter. Es war Lirandil. Erst in diesem Moment wurde Arvan klar, dass der Kampf ihn so sehr gefesselt hatte, dass er stehen geblieben war.
» Der Ausgang dieser Kämpfe ist im Allgemeinen abgesprochen, Arvan«, sagte Lirandil.
» Abgesprochen? Aber…«
» Die Welt ist voller Täuschung, Arvan. Lug und Trug machen einige Wenige reich und mächtig. Wenn du das so oft erlebt hättest wie ich, würdest auch du einen solchen Betrug sofort erkennen. Auch ohne Elbenaugen.«
Die um den Hof gelegene Stadt war von hohen Zäunen aus den harten Hölzern der Riesenbäume umgeben. Nun wusste Arvan, wo all die gewaltigen Baumstämme blieben, die von den Wäldern am Ostufer des Langen Sees zum Waldkönigshof gezogen wurden. Die einzelnen Stadtviertel waren ebenfalls von solchen Zäunen unterteilt, die sogar mit Wehrgängen versehen waren. Von den oberen Stockwerken des Turms aus musste die Stadt anmuten wie die Fächerkästen eines Heilers, der darin seine klein geriebenen Kräuterproben sortierte. Offenbar war die Stadt Viertel für Viertel gewachsen, jedes eine Festung für sich. Diese Bauweise machte es möglichen Eroberern sehr schwer, denn jedes angreifende Heer musste über sehr viele im Nahkampf geübte Fußsoldaten verfügen, die sich Gasse für Gasse, Tor für Tor und Wachtturm für Wachtturm vorkämpfen mussten.
Die größte Festungsanlage allerdings war der Palast selbst, der wie eine Stadt innerhalb der Stadt angelegt war und in dessen Mitte sich der Hexagonturm erhob.
Er bildete das Zentrum von Harabans Macht. Eher schlicht und doch unübersehbar war er als stilisiertes Zeichen in den Wappen der Söldnereinheiten und auf ihren Feldzeichen aufgestickt.
Arvan und die drei Halblinge folgten Lirandil bis zum imposanten Haupttor der Palastmauern. Es war aus einem einzigen gebogenen Stamm eines Riesenbaums geformt und zeigte zahlreiche Goldverzierungen, unter anderem stilisierte Relinga-Zeichen, Lobsprüche auf die Wohltaten von König Haraban. So viel Eitelkeit empfand Arvan als peinlich, und kein Baum-Meister der Halblinge hätte auch nur ansatzweise eine ähnliche Selbstverherrlichung betrieben.
Aber vielleicht, so überlegte Arvan, war es etwas anderes, ob man nur über die Belange einer Wohnbaumbevölkerung oder eines Stammes entschied oder ob man ein Reich von gewaltigen Ausmaßen und mit einigen sehr abgelegenen Provinzen zusammenhalten und regieren musste.
Die Wachen am Haupttor des Palastes waren Oger, angeworben in Bagorien. Dort lebten die freien Ogerstämme in den Weiten der flachen Mark, doch ihre Abkömmlinge verdingten sich überall in Athranor als Söldner und Leibwächter. Einst hatten die Oger von Athranor ein eigenes Reich besessen, das sich westlich des Berges Tablanor, der Wohnstatt der ersten Götter, erstreckt hatte. Doch dieses Reich war schon vor langer Zeit untergegangen. Nur das legendäre Grab des unbekannten Ogerkönigs war von ihm geblieben. Die Geschichten über die düsteren und blutrünstigen Zeremonien, die die Ogerstämme dort bis zu diesem Tag abzuhalten pflegten, waren selbst bis in den Halblingwald vorgedrungen, und Arvan hatte als kleiner Junge immer schaudernd gelauscht, wenn die älteren Halblinge davon erzählten. Allerdings hatte er sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass sie diese Geschichten vielleicht auch etwas zu sehr ausschmückten. Letztlich, so hatte Arvan irgendwann erkannt, waren diese Erzählungen von grausigen Opferungen auf dem Thronstein eines namenlosen Königs wohl nur schaurige Märchen, die die gleiche Moral transportierten wie die Geschichte von Brado dem Flüchter, nämlich dass man sich am besten nicht allzu sehr vom eigenen Wohnbaum entfernen sollte, da der Rest Athranors und der Rest der Welt ein Reich des Unheils und der Verderbnis war.
Lirandil trat an die Wachen heran und redete sie in ihrer eigenen Sprache an, was sie sehr zu überraschen schien. Ihre groben, kantigen Gesichter waren unter den mit einem Nasen- und Wangenschutz ausgestatteten Helm kaum zu sehen. Aber die großen, fast schwarzen Augen weiteten sich erfreut, als der Fährtensucher sie in ihrer eigenen Sprache anredete.
» Ich frage mich, ob es eine Sprache gibt, die unser werter Lirandil in den letzten tausend Jahren noch nicht gelernt hat«, raunte Borro seinen Gefährten zu.
» Viele dürften es nicht sein«, erwiderte Arvan ebenso leise.
» Ehrlich gesagt, es würde mich nicht einmal mehr wundern, würde
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