Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
überrascht mich nichts mehr.”
“Nun, er wird seinen Weg finden”, beendete er das Thema, reichte Hannah die Hand und verabschiedete sich.
Am Mittag holte Hannah Alexander ab. “Na, wie war es heute in der Schule?”
“Ja gut”, lautete seine knappe Antwort. Alexander war kein Kind vieler Worte, es sei denn er konnte mit Carsten fachsimpeln oder mit Joey, Thomas oder seiner Mama ernsthafte, spannende Themen diskutieren. Mittlerweile war er ja sowohl bei Hannah als auch bei seinen Paten zu Hause. Doch was sollte er auch antworten, wenn ihn jemand nach der Schule fragte. Dazu gab es einfach nicht viel zu erklären. Eines stand zumindest fest: er fand den Tag nicht berauschend. Was in der Klasse durchgenommen wurde, kannte er schon und viele Fächer haben Zweitklässler ja noch nicht. Es fiel ihm schwer, sich auf die Ausführungen der neuen Lehrerin, Frau Hermann, zu konzentrieren. Aber das war immer so, wenn ihn etwas langweilte.
“Ich habe eine Überraschung für dich”. Alexander ist bei diesem Satz richtig aufgewacht und schaute ungeduldig neugierig zu seiner Mama hoch.
“Du hast Freitagnachmittag einen Termin.” Sie ließ, um die Spannung zu steigern den Satz erst mal so stehen.
“Mama, sag schon bei wem?”, hakte er ungeduldig nach, obwohl er eigentlich eine Vermutung hatte.
“Bei Professor Dr. Haas im Richard-Strauss-Konservatorium.” Alexanders Augen leuchteten. Es ist ja nun schon sechs Wochen her, dass er eine Einladung zum Professor hatte und dieser leider nicht folgen konnte. Er hatte in der Zwischenzeit nicht viel Klavier gespielt, doch dafür hatte er eine Partitur geschrieben, die bis Feitag sicher fertig gestellt sein würde.
Er brauchte seiner Mutter auf diese Ankündigung gar nicht viel zu antworten, denn die leuchtenden Augen waren Antwort genug. Dennoch fragte Hannah: “Na ist das eine gute Überraschung?”
“Da fragst du?”, gab er als Gegenfrage zurück.
Carsten holte Alexander am Freitag ab. Mit umgehängter Tasche, in der sich seine Partitur befand, verließ Alexander fröhlich plaudernd das Restaurant.
Der Professor war ein großer stattlicher Mann, der sein nicht allzu kurz geschnittenes graues Haar nach hinten gekämmt trug, während sich aber meist eine widerspenstige Strähne aus dieser aufgezwungenen Dressur herauslöste und frech in seine Stirn hing. Er hatte hellbraune Augen, die, wenn er aufschaute über einen silbernen Brillenrand hervor lugten. Der oberste Knopf seines weiß-blau gestreiften Hemds war geöffnet, die Ärmel lässig bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Seine dunkelgraue Hose war zerknittert.
“Hallo Alexander”, begrüßte der Professor ihn mit seiner sehr ruhigen tiefen Stimme. “Ich hörte, du warst sehr krank. Aber nun bist du ja wieder gesund. Wunderbar.”
Alexander nickte nur und setzte erklärend hinzu, dass er in dieser Zeit leider nicht Klavier spielen konnte. Dann leuchteten seine Augen und er griff in die Tasche, holte seine Partitur heraus und reichte sie dem Professor: “Dafür habe ich … wir … das geschrieben.”
Dieser nahm das Bündel entgegen blätterte es interessiert durch und staunte nur noch. Eigentlich sollte das Treffen ganz anders verlaufen. Er wollte Alexander einer Prüfung unterziehen, um herauszufinden, wo bei ihm für ein Studium angesetzt werden sollte. Aber was er hier in Händen hielt sprengte seine Erwartung an diesen jungen Künstler. “Das ist ja … das ist unglaublich … überwältigend”, brachte er nur stockend hervor. “Das hast du geschrieben?”, wandte er sich fragend an Alexander, während er die Augen nicht von der Partitur lassen konnte.
Alexander nickte und brachte ein kleinlautes “ja” hervor, das er aber gleich anschießend korrigierte: “wir.”
Der Professor war zu überwältigt, so dass er das ‘wir’ beide Male überhörte. Kein Wunder, denn das, was er hier vor sich liegen hatte, beanspruchte seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Es war die zu Endegebrachte Komposition von Mozarts unvollendetem Requiem und zwar mit der Perfektion eines Meisters, wie sie nur Mozart zuzuschreiben war. So wie er es auf den ersten Blick beurteilen konnte, fehlten alle von Franz Xaver Süßmayr, einem Schüler Mozarts, angebrachten Ergänzungen. Stattdessen sah er hier eine Version, wie es unverkennbar vom ursprünglichen Meister gedacht sein konnte.
“Alexander, das ist ein Meisterwerk”, kommentierte er die vorliegende Arbeit während er ihn über seinen Brillenrand fast ungläubig
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