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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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möglich erfahren. Es war nicht, was meine Mutter und ich geplant hatten, aber Eamonn ließ mir keine andere Wahl.
    Ich fand ihn vor dem Stall. Er betrachtete das graue Pferd, das mich nach Hause getragen hatte, während einer der Stallknechte es über den Hof traben ließ. Eins und zwei, drei und vier, die graue Stute hob ihre Füße so ordentlich wie eine Tänzerin. Ihr Fell schimmerte, die silbrige Mähne und der Schweif glänzten von guter Pflege.
    Ich trat an Eamonns Seite, während er beobachtend im Schatten stand.
    »Liadan.« Er klang zurückhaltend.
    »Du wolltest mit mir sprechen«, sagte ich. »Nun, ich bin hier.«
    »Ich weiß nicht, ob … das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin … dein Bruder hat mich enttäuscht. Er hat mich mit seiner mangelnden Urteilskraft entsetzt. Ich fürchte, ich kann dir meine Gedanken darüber nicht weiter mitteilen.«
    »Ich weiß, dass es kein guter Zeitpunkt ist, Eamonn. Aber ich muss dir etwas sagen, und es muss jetzt sein, da ich noch den Mut dazu habe.« Sofort wandte er mir seine Aufmerksamkeit zu.
    »Du hast … du hast Angst, es mir zu sagen? Du brauchst niemals Angst vor mir zu haben, Liadan. Du musst doch wissen, dass ich nie etwas verletzen würde, was mir so kostbar ist.«
    Seine Worte machten es mir nicht leichter. Wir gingen leise hinter die Ställe, wo man sich auf eine Treppe in der Sonne setzen konnte. Es war immer ein guter Platz für Kindergeheimnisse gewesen. Hier konnte einen niemand sehen, außer vielleicht einem Druiden.
    »Was ist los, Liadan? Was ist so schlimm, dass du es nicht einmal einem Freund sagen kannst?« Und er griff nach meinen Händen, so dass ich mich ihm nicht entziehen konnte. »Sag es mir, meine Liebe.«
    Brighid, hilf! Ich schauderte von Kopf bis Fuß. »Eamonn. Wir kennen einander schon sehr lange. Ich achte dich, und ich schulde dir die Wahrheit, so viel ich davon preisgeben kann. Zuvor hast du … du hast mich gebeten, deine Frau zu werden, und ich habe gesagt, ich würde dir die Antwort an Beltaine geben. Aber ich muss dir jetzt schon antworten.«
    Einen Augenblick lang schwieg er.
    »Ich sehe, dass ich dich zu sehr bedrängt habe«, meinte er vorsichtig. »Wenn es dir lieber ist, werde ich so lange warten, wie du willst. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, um deinen Entschluss zu treffen.«
    Ich schluckte. »Das ist es ja gerade. Ich kann mir keine Zeit nehmen. Und ich kann dich nicht heiraten, nicht jetzt und nicht später. Ich trage das Kind eines anderen Mannes.«
    Und dann folgte ein sehr langes Schweigen, währenddessen ich bedrückt zu Boden starrte und er reglos dasaß und immer noch meine Hände hielt. Schließlich sprach er mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme – der Stimme eines Fremden.
    »Ich denke, ich habe dich nicht richtig verstanden. Was hast du gesagt?«
    »Du hast mich gehört, Eamonn. Lass es mich nicht noch einmal aussprechen.«
    Abermals Schweigen. Er ließ meine Hände los. Ich konnte ihn nicht ansehen.
    »Wer hat das getan?«
    »Das kann ich dir nicht sagen, Eamonn. Das werde ich dir nicht sagen.«
    Er drehte sich um und packte meine Schultern fest.
    »Wer hat das getan? Wer hat genommen, was mir gehört?«
    »Du tust mir weh. Ich habe dir gesagt, was ich dir sagen musste, und nun bist du frei von mir. Mehr wirst du darüber nicht erfahren.«
    »Nicht mehr? Was meinst du damit? Was bilden sie sich ein, dein Bruder, dein Vater? Sie sollten unterwegs sein und den Abschaum jagen, der dir das angetan hat und ihn für diese … diese Unerträglichkeit zahlen lassen!«
    »Eamonn …«
    »Sobald ich dich sah, sobald Sean und ich dich gefunden hatten, fürchtete ich, dass ein solches Unrecht geschehen war. Aber du wolltest nicht mit mir sprechen, und du schienst ruhig zu sein, beinahe zu ruhig … und dann sprachen sie nicht mehr davon, also dachte ich … aber ich werde diese barbarische Tat rächen, selbst wenn sie es nicht tun. Ich werde ihn zahlen lassen. D-dieses Kind hätte meins sein sollen.«
    »Sie wussten es nicht.« Meine Stimme zitterte. »Sean, Liam, mein Vater. Sie wissen es immer noch nicht. Du bist der zweite Mensch, der davon erfährt nach meiner Mutter.«
    »Aber warum?« Er sprang auf und ging nun auf und ab, ballte die Fäuste immer wieder, als könnte er es kaum erwarten zuzuschlagen. »Warum hast du es ihnen nicht gesagt? Warum gibst du deinen Verwandten nicht die Gelegenheit zur Rache?«
    Ich holte tief Luft. »Weil«, sagte ich sehr klar, so dass er mich auf keinen Fall

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