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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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bevor ich untertauchte, um die Kühle über mein Gesicht waschen zu lassen, und dann rasch wieder auftauchte und das Wasser aus meinem Haar schüttelte. Es fühlte sich gut an, in der festen Umarmung des Wassers zu sein, und eine Weile konnte ich die Komplikationen meines Lebens vergessen, die Entscheidungen, die mir bevorstanden, die Geheimnisse und Heimlichkeiten und Gefahren, und wieder die unschuldige Freiheit der Kindheit genießen.
    Schließlich wurde mir kühl, und ich watete zurück zum Ufer. Johnny lag auf seiner kleinen Decke und schlief. Er würde später Hunger haben. Ich stand knietief im Wasser und wrang mein Haar aus. Kein Laut war zu hören, nichts regte sich. Aber etwas bewirkte, dass ich aufblickte. Die Härchen in meinem Nacken sträubten sich, und ich wusste, dass man mich beobachtete.
    Unter den Weiden, so reglos, als gehörte er zum Wald, stand ein Mann. Wenn man ihn nicht kannte, hätte man das komplizierte Muster, das seine Züge kennzeichnete, für das Spiel des Lichts gehalten, Sonne, die durch Weidenzweige fiel. Er war schlicht gekleidet, in mattes Grau und Braun, angemessene Farben für einen Mann, der ungesehen durchs Waldland kommen wollte. Ich konnte keine Waffe an ihm sehen. Es schien, dass der geheimnisvolle Wald von Sevenwaters für den Bemalten Mann keine größere Herausforderung gewesen war als die Marschen von Sidhe Dubh. Oder vielleicht hatte man ihm gestattet, hier einzudringen.
    Er regte sich nicht. Offensichtlich war es meine Aufgabe, nur in mein triefendes Hemd gekleidet aus dem Wasser zu steigen und mir die richtigen Worte einfallen zu lassen. Ich watete so würdevoll wie ich konnte ans Ufer, aber es ist schwierig, das Gefühl zu wahren, dass man eine Situation beherrscht, wenn man sich bücken muss, um sich Wasser aus dem Rock zu drücken, wenn Arme und Schultern und die halbe Brust nackt sind und die Füße mit Sand bedeckt und kein Kamm und kein Spiegel in Sicht. Ich erreichte den Punkt, wo mein Kleid und mein Tuch auf der Wiese oberhalb des kleinen Strandes lagen, aber er war vor mir da. Hinter uns, auf der anderen Seite unter den Weiden, hatte sich das Kind nicht gerührt.
    Bran hatte mein Tuch in den Händen und streckte die Arme aus, um es mir um die Schultern zu legen. So viel für die Wahl der richtigen Worte. Ich konnte kaum atmen und erst recht nichts sagen, was irgendwie verständlich gewesen wäre. Der Schal fiel zu Boden, Bran schlang die Arme um mich, ich umarmte ihn, und ich spürte seine Lippen auf meinen, in einem Kuss von solcher Süße, dass ich beinahe geweint hätte. Er legte die Hände auf meine Wangen, fuhr sanft mit dem Daumen über die Haut von Schläfe und Wange, als könnte er nicht ganz glauben, dass ich tatsächlich da war. Das Begehren in seinem Blick strafte die Zurückhaltung dieser Berührung Lügen.
    »Oh Liadan«, sagte er leise. »Liadan.«
    »Du bist in Sicherheit«, brachte ich hervor und fuhr mit den Fingern leicht über seinen Nacken, und mein Herz klopfte heftig. »Ich hatte nicht gehofft … aber du solltest nicht hier sein, Bran … Liams Männer sind sehr wachsam. Und er glaubt immer noch … ich habe ihm die Wahrheit nicht gesagt, was meine Schwester angeht und dass du ihr geholfen hast. Für das, was du getan hast, stehe ich tief in deiner Schuld.«
    »Das stimmt nicht«, sagte er leise. »Du hast gezahlt, erinnerst du dich? Jetzt komm, lass uns eine Weile die Regeln befolgen, bevor wir vollkommen die Beherrschung verlieren. Setz dich zu mir.«
    Dann hob er wieder den Schal hoch und legte ihn mir um die Schultern.
    »Und jetzt«, sagte er und holte tief Luft, »müssen wir uns hinsetzen, drei Schritte voneinander entfernt, und ich werde dir etwas erzählen.«
    »Ich weiß, dass meine Schwester in Sicherheit ist«, sagte ich und setzte mich hin. Er ließ sich auf dem Gras in der Nähe nieder. »Ein … ein Bote ist gekommen, an dem Tag, als meine Mutter starb.«
    »Ich verstehe. Deine Mutter … das muss dich sehr bekümmert haben.«
    Ich nickte, und es fiel mir immer noch schwer, zu sprechen und zu atmen und irgendetwas zu begreifen.
    »Es gibt andere Dinge, die dich interessieren«, fuhr Bran fort. »Neuigkeiten, die ich auf dem Weg hierher gehört habe, die noch nicht die Ohren deines Onkels oder deines Bruders erreicht haben mögen. Uí Néill ist tot. Er wurde im Schlaf erwürgt, als er in der Nähe des Passes im Norden sein Lager aufgeschlagen hatte. Das ist schon vor einer Weile geschehen, noch vor Mittsommer, sagte

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