Der Sohn der Schatten
Gebetshaus aufgewachsen wäre? Was dann?«
Ich war so überrascht, dass ich überhaupt nichts sagte, und meine Hände arbeiteten automatisch weiter, als ich die Schale leerte und sie auswischte und dann meine Decke auf den harten Boden ausrollte.
»Du hast gesagt, es sei das Blut seines Vaters, der Wille seines Vaters, ein Krieger zu werden, der ihn dazu geführt hat. Aber seine Mutter hat ihn in den Kriegskünsten ausgebildet, sie hat ihn auf diesen Weg geschickt, bevor er auch nur wusste, wer Cú Chulainn war. Willst du damit sagen, dass, wie immer er auch aufgewachsen wäre, dieser Junge vom Schicksal dazu ausersehen war, dem Beispiel seines Vaters zu folgen? Beinahe, dass die Art, wie er starb, bereits bei seiner Geburt vorbestimmt gewesen war?«
»Oh nein!« Seine Worte entsetzten mich. »Das wäre, als würde ich behaupten, dass man bei dem Weg, den man geht, überhaupt keine Wahl hat. Das meine ich nicht. Nur, dass wir alle von unseren Müttern und Vätern gemacht werden, und wir tragen viel von ihnen in uns. Wäre Conlai als heiliger Bruder aufgewachsen, hätte es vielleicht viel länger gedauert, bis der Mut seines Vaters und sein wilder kriegerischer Geist in ihm erwacht wären. Aber er hätte es sicherlich in sich gefunden, auf die eine oder andere Art. Er war diese Art Mann, und nichts hätte etwas daran ändern können.«
Bran lehnte sich gegen die Felsmauer, seine Gestalt fast ganz im Schatten.
»Was, wenn …«, sagte er. »Die … die Essenz, der Funke, was immer es ist, der kleine Teil seines Vaters, den er in sich trug … das hätte verloren gehen können, zerstört, bevor er wusste, dass es da war. Man hätte … man hätte es ihm nehmen können.«
Ich spürte eine seltsame Kälte, und in meinem Nacken sträubten sich die Haare. Es war, als breitete sich Finsternis über mich aus, über uns beide. Und Bilder tauchten so rasch vor meinem geistigen Auge auf, dass ich sie kaum erkennen konnte, bevor sie wieder verschwunden waren.
… dunkel, so dunkel. Die Tür geht zu. Ich kann nicht atmen. Sei still, schluck die Tränen herunter, gib keinen Laut von dir. Schmerzen, Krämpfe wie Feuer. Ich muss mich bewegen, aber ich wage es nicht, sonst werden sie mich hören. Wo bist du? Wo bist du? Wo bist du hingegangen?
Ich riss mich zurück in die wirkliche Welt, ich zitterte. Mein Herz klopfte heftig.
»Was ist los?« Bran trat aus dem Schatten und starrte mich forschend an. »Was ist?«
»Nichts«, flüsterte ich. »Nichts.« Und dann wandte ich mich ab, denn ich wollte ihm nicht in die Augen sehen. Was immer die finstere Vision gewesen war, sie war von ihm ausgegangen. Unter dieser Oberfläche lag tiefes, unvermessenes Wasser; gefährliche und seltsame Reiche.
»Du brauchst deinen Schlaf«, sagte er, und als ich mich schließlich umdrehte, war er weg. Das Kohlebecken glühte. Ich drehte die Lampe herunter, löschte sie aber nicht, falls der Schmied aufwachen und mich brauchen würde. Dann legte ich mich hin, um zu schlafen.
KAPITEL 5
Etwas weckte mich. Ich setzte mich abrupt auf, mit heftig klopfendem Herzen. Das Feuer im Kohlebecken war ausgegangen; die Laterne war heruntergebrannt und warf nur noch einen schwachen Lichtkreis. Draußen war es vollkommen dunkel. Alles war still. Ich stand auf und ging zum Strohsack, die Laterne in der Hand. Evan schlief. Ich zupfte die Decke um ihn zurecht und wollte mich wieder hinlegen. Für eine Sommernacht war es recht kühl.
Dann hörte ich es. Ein Geräusch wie ein unterdrücktes Keuchen, ein schwaches Einatmen. Konnte mich eine solche Kleinigkeit derart aufgeschreckt haben? Ich ging zögernd nach draußen, mit meinen bloßen Füßen und in dem geliehenen Unterhemd, das ich zum Schlafen trug, ein wenig schaudernd, und das nicht nur von der Kälte. Es war tiefe, tiefe Nacht, intensiv in ihrer Allgegenwart. Selbst die Nachtvögel schwiegen. Mit meiner kleinen, trüben Laterne hatte ich das Gefühl, das einzige Geschöpf zu sein, das sich in dieser schwarzen, undurchdringlichen Welt rührte.
Ich ging einen Schritt vorwärts und noch einen und sah, dass Bran am Eingang zur Höhle an die Felsen gelehnt saß und geradeaus ins Dunkel starrte. Vielleicht hatte auch er etwas gehört. Ich öffnete den Mund, um ihn zu fragen, und seine Hand zuckte vor und packte mich fest am Arm, ohne hinzusehen oder ein Wort zu sagen. Ich verkniff mir einen erschrockenen Aufschrei und musste mich anstrengen, die Laterne nicht fallen zu lassen. Seine Hand klammerte sich so
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