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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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zu. »Ein kleines, zartes Ding wie du, ein Windstoß könnte dich schon wegblasen. Du bist leicht zu verletzen. Wir hätten es besser wissen sollen.«
    »Es geht mir gut, wirklich«, sagte ich. »Vergessen wir das einfach und machen weiter. Vielleicht einen Schluck Brühe und ein Stück Brot oder zwei?«
    Evan verdrehte die Augen. »Gnade! Sie wird mich mit ihrem endlosen Fluss von Brühe umbringen.«
    Er aß ein wenig und schlief wieder, und ich unterhielt mich mit Hund und spielte mit ihm ein Ringsteinspiel auf dem Boden. Es war nicht einfach. Wir suchten die flachsten Steine, die wir finden konnten, aber sie waren nicht im Gleichgewicht und wir endeten beinahe hysterisch vor Lachen, beide erbärmliche Verlierer. Am Ende häufte ich die Steine auf und wischte den ordentlich gezeichneten Kreis und sein Netz von Linien weg. Als ich aufblickte, starrte mich Hund an. Er war plötzlich sehr ernst geworden.
    »Ich höre, du hast einen Mann zu Hause«, sagte er.
    »Nicht genau«, erwiderte ich vorsichtig. »Einen Bewerber. Weiter ist es nicht gegangen.«
    »Du könntest vielleicht an einen anderen denken.« Sein Ton war bewusst lässig. »Einen anderen Bewerber, meine ich. Ich habe viel gespart. Ich bin jetzt drei, vier Jahre beim Hauptmann. Ich habe genug gespart, um ein gutes Stück Land zu kaufen, ein wenig Vieh, ein Haus zu bauen. Irgendwo weit weg. Vielleicht auf einer der Inseln im Norden. Oder wir können ein Boot nehmen, davonsegeln und von vorn anfangen. Ich habe nie eine Frau wie dich getroffen. Ich würde mich um dich kümmern. Ich sehe vielleicht nicht nach viel aus, aber ich bin stark, ich kann arbeiten. Du wärst bei mir sicher. Was meinst du?« Er nestelte an den langen Krallen, die um seinen Hals hingen, der Blick seiner gelben Augen zögernd, als er mir ins Gesicht sah.
    Ich starrte ihn verblüfft an. Ich stellte mir vor, wie ich gefolgt von Hund nach Sevenwaters zurückkehrte. Ich stellte mir die Miene meines Vaters vor, wenn er den halb rasierten Kopf sah, das Muster auf dem Kinn, diese Augen, das pockennarbige Gesicht, den Wolfsfellumhang und das barbarische Halsband.
    »Du lachst über mich«, meinte Hund bedrückt. »Ich wusste selbstverständlich, dass du Nein sagst. Ich dachte nur, ich könnte mal fragen.«
    »Es tut mir Leid«, sagte ich sanft und legte meine Hand auf seine. »Ich lache nicht, das verspreche ich. Ich will dich nicht beleidigen. Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen, denn ich sehe, dass du ein guter Mann bist. Aber ich werde noch keinen Mann wählen, nicht, bis es wieder Sommer wird. Nicht dich, und auch keinen anderen.« Seine Handfläche unter meinen Fingern war schwielig und fest. Ich drehte die Hand herum und sah diese schrecklichen, schwieligen Narben an, die sie überzogen.
    »Wo hast du die her?« Jemand hatte gesagt, ich solle Hund nach seiner Geschichte fragen. Ich konnte mir einen Teil davon vorstellen.
    »Wikingerschiff«, sagte er. »Ich komme aus Alba, genau wie deine Kriegerin Scáthach. Mein Bruder und ich, wir hatten ein Heringsboot, und wir konnten gut davon leben. Nordmänner haben das Dorf überfallen. Haben uns beide als Ruderer mitgenommen, als sie unsere Kraft sahen, verstehst du. Das war wirklich eine Zeit!«
    Sein Blick umwölkte sich, und er fuhr mit der Hand den rasierten Schädel entlang. »Wir sind lange für sie gerudert. Zu lange. Meist benutzten sie ihre eigenen Leute, aber sie hatten zu wenig Männer, und sie hatten sechs Paar Ruderer angekettet und behielten sie. Ich und Dougal, wir hatten immer Ärger. Aber sie ließen uns leben, denn wir waren die Stärksten, die sie hatten. Dougal trieb es eines Tages zu weit und fing sich einen Peitschenhieb im Gesicht ein. Er ist gestorben. Es war vielleicht am besten so. Er hatte gesehen, wie seine Frau und seine Töchter vergewaltigt und umgebracht wurden. Er war von Hass erfüllt. Ich habe weitergemacht. War stärker, als gut für mich war.«
    »Und wie bist du geflohen?«
    »Ach, das ist eine Geschichte für sich. Der Hauptmann hat mich rausgeholt. Ich dachte damals, er hätte den Verstand verloren. Wir waren in einem Hafen im Osten, es war heiß wie in einem Backofen, und man hätte die Luft mit dem Messer schneiden können. Wir waren an unseren Ruderbänken angekettet – so machten sie es immer, wenn die Mannschaft an Land ging. Man hätte an Hitze und Durst sterben können, ebenso leicht, wie man Luft holt. Da waren wir eines Abends, schliefen so gut wie möglich, Hintern auf der Bank, Kopf, wo

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