Der Sohn der Schatten
Mutter wieder zu sehen. Wie hatte Bran das gemeint – würde man mir nie wieder gestatten, nach Hause zurückzukehren? Ich stellte mir Sorchas zierliche Gestalt und ihre umschatteten Augen vor und meines Vaters standfeste, wachsame Präsenz. Ich dachte an Sean und Aisling und lange friedliche Tage, die ich in der tiefen Stille des Waldes verbrachte, oder beschäftigt mit den häuslichen Arbeiten, die ich so liebte: backen, nähen, Kräuter trocknen. Ich sah mich um. Dieses Lager war kein Zuhause; diese geheime, gefährliche Existenz kein Leben. Zum ersten Mal traf mich das volle Gewicht dessen, was es meiner Familie antun würde, und eine einzelne Träne lief mir über die Wange.
»Das wird dir nichts helfen«, sagte Bran. »Eine Frau kann ihre Tränen so rasch fließen lassen wie von einer Pumpe. Ich bin immun dagegen.«
Andere offensichtlich nicht. Ich spürte Hunds große Hand auf meiner Schulter, und Evan sagte: »Weine nicht, Mädchen. Wenn es vorbei ist, wirst du bald wieder zu Hause sein, und dein Mann wartet dort auf dich.«
Bran sah Hund an. »Nimm die Hand weg«, sagte er mit einer schrecklichen, leisen Stimme. Hund riss die Hand weg, als hätte er einen Peitschenschlag erhalten.
»Wir verlieren hier nur Zeit«, sagte ich und wischte mir die Tränen ab. »Zeig mir, wie du diesen Mann transportieren willst. Vielleicht kann ich dir noch Ratschläge geben. Ich hoffe, dass ihr nicht erwartet, dass ich mit verbundenen Augen reite. Wahrscheinlich braucht ihr mich unterwegs.«
»Du kannst also reiten?«
»Das kann ich in der Tat – was glaubst du, wie ich auf diese Straße gekommen bin, von der deine Männer mich entführt haben? Du wirst feststellen, dass ich nicht vollkommen unfähig bin.«
Er reagierte nicht darauf, deutete nur mit einer Kopfbewegung an, dass ich ihm nach draußen folgen sollte. Ich war nicht zum ersten Mal versucht, etwas zu sagen, das ich später vielleicht bedauern würde. Aber ich schluckte meinen Zorn herunter und trabte hinter Bran her, als er durchs Lager ging. Nichts war mir wichtig, außer Evan am Leben zu erhalten. Ich war Heilerin, und ich hatte eine Aufgabe. Später würde vielleicht Zeit für Fragen sein.
Diese Reise war ein einziger Alptraum. Ich hielt meinen Mund geschlossen und die Augen offen. Ich war mir bewusst, dass wir nicht direkt nach Norden, sondern leicht nach Nordosten unterwegs waren, aber ich hätte die Entfernung nicht abschätzen können. Die Geschwindigkeit war gnadenlos, so schnell, wie es uns gelang, uns beinahe lautlos zu bewegen, durch Wälder, so verborgen wie möglich, durch Bachbetten und Marschland, um unsere Spuren zu verbergen. Immer ritt ein Mann als Späher voraus, und einer folgte uns als Nachhut. Es wurde dunkler, und wir ritten immer weiter. Mein Rücken schmerzte, mein Mund war trocken, aber ich schwieg und zwang mich weiterzureiten. Meine eigene Unbequemlichkeit war nichts im Vergleich zu Evans, der hinter Hunds breiten Rücken geschnallt war und hilflos auf und ab hüpfte, wenn das Pferd sich auf unebenem Boden rasch bewegte. Seine Wunde war nur durch ein Leinenpolster geschützt, das wir rasch vor unserem Aufbruch angebracht hatten. Ich hatte gehofft, wir könnten unterwegs anhalten, um ihn neu zu verbinden. Aber das war nicht der Fall. Ich konnte auch nicht darum bitten. Die Männer schwiegen, kommunizierten nur mit Zeichen, und das aus gutem Grund. Einmal, als wir über einen dicht bewaldeten Hügelkamm oberhalb freien Landes ritten, entdeckten wir andere Reiter unterhalb von uns, die in einer geordneten, wohlbewaffneten Gruppe parallel zu unserem eigenen Weg zogen, aber in die Gegenrichtung. Bran bedeutete uns mit einer kleinen Geste innezuhalten, und wir verharrten reglos, bis die Reiter weit weg waren. Die Männer trugen dunkelgrüne Waffenröcke mit einem schwarzen Turm darauf über ihre Feldrüstung. Eamonns Farben. Ob sie nach mir suchten oder ein anderes Ziel hatten, war nicht zu sagen. Ich erinnerte mich, was Eamonn über den Bemalten Mann und seine arrogante Herausforderung gesagt hatte, und wusste, dass ich mich auf einem gefährlichen Pfad bewegte. Endlich, als ich so müde geworden war, dass ich schon beinahe aus dem Sattel fiel, und Evan mit grauem Gesicht reglos in seinen Riemen hing, machten wir Halt. Wir befanden uns unter hohen Bäumen am Eingang einer Art von Gebäude, und es schien, als hätten wir unser Ziel erreicht, denn Laternen wurden entzündet und leise Anweisungen gegeben. Hund war abgestiegen, und sie
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