Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Adoption freigegeben!«
Frau Steinberg blätterte in der Akte. »Es liegen diverse
medizinische Berichte dieser Akte bei und ein Gutachten der zuständigen
Jugendhilfe«, erklärte sie. »Demnach war die Mutter der Verstorbenen nicht in der
Lage, sich um die Kinder zu kümmern. Die Zahlungen wurden ausschließlich von
der Gemeinde geleistet. Offenbar lebten sowohl die verstorbene Frau Rosnow als
auch die Mutter von der Sozialhilfe. Die Mutter der Verstorbenen war auch schon
über sechzig Jahre alt. Aus dem vorliegenden medizinischen Gutachten geht
hervor, dass es sich um eine Frühgeburt in der vierunddreißigsten
Schwangerschaftswoche handelte. Eines der Kinder, Tanja, war gut entwickelt,
während es bei Tamara zu intracerebralen Blutungen gekommen war. Die
Überlebenschance war äußerst gering, die Ärzte gingen davon aus, dass das
Neugeborene sterben würde. Das war der Grund dafür, dass für die kleine Tanja
relativ zügig die Freigabe zur Adoption erfolgte. Man versucht vollwaise
Neugeborene schnell in ihre Pflegefamilien zu bringen, damit der Eingewöhnungsprozess
problemlos verlaufen kann. Offenbar war die Familie Sommerlath den Behörden
damals gut bekannt.«
»Und was wurde aus der kleinen Tamara?«, fragte Hanna.
Frau Steinberg blätterte weiter und vertiefte sich in die Akte.
Nach einem Augenblick schaute sie wieder auf. »Sie überlebte und wurde im
Kinderhaus Sankt Anton untergebracht. Das Jugendamt der Stadt war für die
zuständig. Weiteres ist hier nicht vermerkt.«
»Es gab nie eine Kontaktvermittlung für die beiden oder so
etwas Ähnliches?«
»Tut mir leid«, antwortete Frau Steinberg und legte die Akte
zur Seite. »Mit der Überstellung an das Jugendamt der Stadt endet diese Akte.
Für das weitere Verfahren war das Jugendamt zuständig. Aber ich glaube nicht,
dass so etwas stattgefunden hat. Damals war man noch der Meinung, man sollte
Adoptivkinder in Ruhe aufwachsen lassen. Das wäre besser für ihre Entwicklung.
Und hier ist es ja bei Zwillingen besonders tragisch.«
Hanna nickte. »Das heißt, wenn die Sommerlaths ihrer Tochter
nie erzählten, dass sie als Baby adoptiert worden ist, dann hat sie es von
behördlicher Seite aus nie erfahren?«
»Richtig«, bestätigte Frau Steinberg. »Kann ich noch etwas für
Sie tun?«
»Ich bräuchte eine Ablichtung dieser Akte«, sagte Hanna. »Wir
ermitteln in einem Mordfall und müssen davon ausgehen, dass beide Mädchen
unabhängig voneinander einem Verbrechen zum Opfer fielen.«
»Ich weiß nicht, ob ich die Akte einfach so herausgeben darf,
ich müsste mit dem Amtsleiter sprechen. Braucht man dazu nicht einen
Gerichtsbeschluss?«
Hanna zog die Stirne kraus. »Ich denke nicht, es handelt sich
ja um die Opfer und nicht um Daten eines Verdächtigen.«
Frau Steinberg überlegte kurz, schließlich rief sie eine
Angestellte zu sich. »Machen Sie bitte Kopien von allen Seiten und heften Sie
sie zusammen«, ordnete sie an. »Wollen Sie in der Zwischenzeit einen Kaffee?«,
wandte sie sich an Hanna.
Hanna nickte. »Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie uns helfen!
Bislang mussten wir davon ausgehen, dass Tanja und ihre Freundin vor drei
Jahren in der Gegend um das Steinhuder Meer entführt wurden und Tanja bei
Flensburg wieder auftauchte. Nun sieht die Sache ganz anders aus. Zwillinge,
eineiige Zwillinge … Da hat die Soko vor drei Jahren aber mächtig geschlampt.«
Beinahe eine halbe Stunde später verließ Hanna Kowalski das
Rathaus am Platz der Deutschen Einheit.
*
Trevisan ließ sich auf einen Stuhl nieder. Seine Hautfarbe
wechselte von alabasterfarben über rot zu einem zornigen Violett.
»Diese Schwachköpfe! Wenn die ihre Hausaufgaben richtig
erledigt hätten, dann wären wir längst schon einen großen Schritt weiter.
Zwillinge. Verdammt noch mal. So einfach ist es.«
Lisa und der Kollege vom LKA am Bruno-Georges-Platz in Hamburg
starrten Trevisan besorgt an.
»Zwillinge«, wiederholte er. »Unsere vermisste Tanja
Sommerlath und das verstorbene Mädchen aus dem Krankenhaus in Flensburg sind
Zwillinge. Tamara Sygow ist ihr Name. Wir arbeiten an zwei unabhängigen Fällen,
die nichts miteinander zu tun haben, außer dem Umstand, dass die beiden Opfer
Zwillingsschwestern waren.«
Die Tür wurde aufgestoßen und eine uniformierte Kollegin betrat
das Büro. »Leider gibt es keine hundertprozentige Übereinstimmung. Sygow haben
wir nicht, aber eine gewisse Tamara Rosnow mit dem gleichen Geburtsdatum.«
»Rosnow, das ist sie. Sie hat den
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