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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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jedem tapferen Mann, der eine Waffe tragen konnte, das brennende Verlangen nach Vergeltung geweckt. Nun bot sich ihnen endlich die Gelegenheit.
    Die Dorfältesten mußten nicht lange nach Freiwilligen suchen. Sobald sie den Bewohnern meinen Wunsch vorgetragen hatten, war ich von Männern umringt, darunter Jugendliche und sogar gebrechliche Greise, die ein begeistertes Kriegsgeschrei erhoben und ihre Waffen aus Obsidian oder Knochen schwangen. Ich konnte meine Wahl treffen und schickte die neu gewonnenen Krieger dann mit einer Wegbeschreibung nach Süden, die so genau wie möglich war, damit sie Chicomóztotl finden und dort zu Nochéztli stoßen würden. Selbst den zu Alten oder zu Jungen übertrug ich eine wichtige Aufgabe. »Verkündet meine Botschaft über eure Grenzen hinaus in allen erreichbaren Dörfern und Gemeinden. Gebt jedem Freiwilligen die Anweisungen, die ich euren Kriegern gegeben habe.« Ich sollte erwähnen, daß ich keine Männer anwarb, die erst noch Krieger werden wollten. Alle meine neuen Männer waren kampferprobt, denn sie führten oft Kriege mit benachbarten Stämmen. Dabei ging es hauptsächlich um Gebietsgrenzen und um Jagdgründe, mitunter jedoch auch um den Raub künftiger Ehefrauen. Doch keiner dieser Hinterwäldler besaß Erfahrung als Krieger in einer großen Schlacht, als Teil eines Heeres, eines organisierten Truppenteils, der gemeinsam und diszipliniert agierte. Ich verließ mich darauf, daß Nochéztli und meine anderen Ritter ihnen alles Nötige beibringen würden.
    Ich glaube, es war zu erwarten, daß meine Botschaft zunehmend mit größerer Ungläubigkeit denn mit Begeisterung aufgenommen wurde, als wir fünf immer weiter nach Nordwesten vorstießen. Die Gemeinschaften in diesem fernen Winkel der EINEN WELT waren kleiner und unterhielten kaum Verbindungen untereinander. Offenbar hatten sie kein großes Verlangen oder Bedürfnis nach Beziehungen und Handel oder selbst nach dem Austausch von Nachrichten. Es kam nur dann zu Begegnungen zwischen den Stämmen oder Sippen, wenn zwei oder mehrere Anlaß hatten, gegeneinander zu kämpfen. Darin unterschieden sie sich nicht von den Gemeinschaften, die wir vorher besucht hatten. Meist hätten zivilisiertere Völker die Gründe für solche Auseinandersetzungen unbedeutend gefunden. Selbst die zahlreichen Stämme der Rarámuri – das Wort bedeutet Läufervolk – schienen sich selten bei ihren Läufen weit von ihren heimatlichen Dörfern zu entfernen. Die meisten Häuptlinge hatten nur unbestimmte Gerüchte gehört. Man erzählte sich, Fremde von jenseits des Ostmeeres seien in der EINEN WELT eingefallen. Manche waren der Ansicht, selbst wenn das tatsächlich geschehen sei, so hätten sie dennoch mit einem Eroberungskrieg, der sich so weit von ihrem Land entfernt ereignet hatte, nichts zu tun. Andere weigerten sich schlicht, den Gerüchten Glauben zu schenken. Schließlich erreichte unsere kleine Gruppe Regionen, wo die Rarámuri noch nie etwas von den Weißen gehört hatten. Einige von ihnen lachten schallend bei der Vorstellung, es könnte ganze Scharen weißhäutiger Menschen geben.
    Trotz der herrschenden Gleichgültigkeit, der Zweifel oder des offenen Unglaubens konnte ich auch hier Krieger für mein Heer anwerben. Ich weiß nicht, ob ich das meinen eindringlichen und überzeugenden Argumenten zu verdanken hatte oder ob die Männer es einfach leid waren, gegen ihre Nachbarn zu kämpfen, und deshalb neue Gegner suchten, die sie erschlagen konnten. Vielleicht wollten sie auch einfach reisen und das alte, vertraute und langweilige Leben weit hinter sich lassen. Die Gründe waren unwichtig. Wichtig war, daß sie ihre Waffen ergriffen und in den Süden nach Chicomóztotl zogen.
    Das Land der Rarámuri war das nördlichste Gebiet, in dem man die Namen Azteca und Mexica noch kannte, und sei es auch, ohne etwas Bestimmtes damit zu verbinden. Es war das letzte Gebiet, in dem wir erwarten durften, gastfreundlich aufgenommen oder geduldet zu werden.
    Als wir am Rand eines mächtigen Wasserfalls entlanggingen und die schimmernde Wasserwand bewunderten, die rauschend in der Tiefe verschwand, sagte G’nda Ké: »Dieser Wasserfall heißt Basaséachic. Er gilt als Gebietsgrenze der Rarámuri und bezeichnet zugleich den nördlichsten Punkt, bis zu dem sich die Herrschaft der Mexica auf dem Gipfel ihrer Macht erstreckte. Wenn wir dem Fluß am Fuß des Wasserfalls folgen, kommen wir in das Land der Yaki. Dort müssen wir vorsichtig und wachsam sein.

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