Der Sohn des Azteken
armseligen Behausungen bestanden aus dünnen, zusammengebundenen Baumstämmen oder Ästen, über die man geflochtene Matten aus gespaltenem Rohr legte. Das Dorf war wie jedes Yaki-Dorf, das ich später zu sehen bekam, von einem hohen Zaun aus Rohr umgeben, der durch eingezogene, ineinander verschlungene Ranken zusammen- und aufrecht gehalten wurde. Nirgendwo in der EINEN WELT habe ich Menschen gesehen, die sich so sehr absonderten, so ungesellig waren und sich allen und allem außerhalb ihrer Grenzen verschlossen. Es gab kein Dampfbad, und obwohl das Dorf ›Ort am Wasser‹ hieß, konnte man sehen und riechen, daß die Dorfbewohner dem Fluß nur Trinkwasser entnahmen und niemals Wasser, um sich zu waschen. Das üppig wachsende Schilf und die Binsen wurden für jeden erdenklichen Zweck benutzt. Man stellte nicht nur Waffen, Matten für die Hütten und Zäune daraus her, sondern auch alle Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Die Menschen schliefen auf Lagern aus Binsenmatten. Die Frauen benutzten zum Kochen Messer aus gespaltenem Schilf und Löffel aus ausgeschabtem Rohr. Die Männer trugen Kopfschmuck aus Rohr und Binsen und spielten bei ihren zeremoniellen Tänzen auf Rohrpfeifen. Die einzigen anderen kunsthandwerklichen Erzeugnisse, die ich bei den Yaki sah, waren häßliche Gefäße aus braunem Ton, geschnitzte und bemalte Holzmasken und Baumwolldecken, die auf primitiven Webstühlen hergestellt wurden.
Das Land in der Umgebung von Bakúm war sehr fruchtbar. Doch die Yaki – ich sollte besser sagen, die Yaki-Frauen – bewirtschafteten ihre Felder eher nachlässig. Sie pflanzten Mais, Bohnen, Amaranth, Kürbis und gerade genug Baumwolle an, um Decken und Kleider für die Frauen herstellen zu können. Außerdem ernährten sie sich von allen möglichen wilden Pflanzen – den Früchten von Bäumen und Kakteen, verschiedenen Wurzeln und Grassamen und den Schoten des Mizquitl-Baumes.
Da die Yaki das Fett der erlegten Tiere lieber aßen, als Öl daraus herzustellen, verwendeten sie beim Kochen ein Öl, das die Frauen mühsam aus bestimmten Pflanzensamen preßten. Sie kannten weder die Herstellung von Octli oder ähnlichen Getränken, noch bauten sie Picietl zum Rauchen an. Ihr einziges Rauschmittel war der kleine runde und flache Kaktus, der Peyotl genannt wird. Sie pflanzten und sammelten keine Heilkräuter und benutzten nicht einmal den Honig der wilden Bienen als lindernde Salbe.
Ualiztli erklärte bereits nach kurzer Zeit kopfschüttelnd voll Widerwillen: »Die Ticiltin der Yaki vertrauen auf furchteinflößende Masken, auf Gesänge, auf Holzklappern und Sandbilder, um alle Krankheiten zu heilen. Abgesehen von der Behandlung der Frauenleiden – und dabei geht es meistens nur um Beschwerden, nicht um richtige Krankheiten – haben diese Ticiltin nur sehr wenige wirkliche Heilverfahren.« Er seufzte. »Diese Leute, Tenamáxtzin, sind wahrlich Wilde!«
Ich stimmte ihm zu. Der einzige Wesenszug der Yaki, der den Beifall eines zivilisierten Menschen finden konnte, war die Wildheit ihrer Krieger, die sie Yoem’sontáom nannten. Darüber konnte ich mich nicht beschweren, denn schließlich war es genau das, wonach ich suchte. Als man mir nach einiger Zeit gestattete, mit G’nda Ké als Dolmetscherin die Yo’otui, die fünf Ältesten von Bakúm aufzusuchen – keine Gemeinde hatte nur einen einzelnen Häuptling –, stellte ich fest, daß das Wort Yaki eigentlich der Name für drei verschiedene Stämme eines Volkes ist. Es sind die Ópata, die Mayo und die Káhita, die jeweils eine, zwei oder drei der Heiligen Städte und deren Umgebung bewohnen und die sich streng voneinander abgrenzen.
Bakúm gehörte den Mayo. Es stellte sich außerdem heraus, daß meine Vorstellungen über den Haß der Yaki aufeinander und das gegenseitige Abschlachten falsch waren. Ganz so schlimm schien es nicht zu sein. Kein Ópata tötete einen anderen Ópata, ohne einen sehr guten Grund dafür zu haben. Aber er erschlug ohne Zögern jeden Mayo oder Káhita, der ihn – und sei es auch nur geringfügig – beleidigt oder geärgert hatte. Alle drei Stämme der Yaki, so erfuhr ich, waren eng mit den To’ono O’otam oder dem Wüstenvolk verwandt, von dem ich durch den Sklaven Esteban zum ersten Mal etwas gehört hatte.
Die To’ono O’otam lebten im Nordosten, weit vom Land der Yaki entfernt. Das Vergnügen, einige von ihnen zu töten, erforderte große Vorbereitungen, unter anderem einen langen Marsch und einen geordneten
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