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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Weißen. Heißt das, es gibt irgendwo Spanier, die nicht weiß sind? Oder gibt es außer den Spaniern noch andere weiße Völker?«
    »Ich versichere dir, Juan Británico, alle Spanier sind Weiße. Es sei denn, man nimmt die spanischen Juden davon aus, die sich zum Christentum bekehrt haben. Sie haben eine dunklere Haut.« Er lehnte sich zurück. »Aber ja, es gibt in der Tat außer den Spaniern viele weiße Völker. Die Völker aller Staaten in Europa.«
    »Europa?«
    »Das ist ein großer Kontinent. Spanien ist nur ein Land dieses Kontinents. Europa ist beinahe so, wie eure EINE WELT früher war – ein riesiges Gebiet, das von zahlreichen unterschiedlichen Völkern bewohnt wird. Allerdings haben alle in Europa heimischen Völker eine weiße Haut.«
    »Dann sind sie alle gleichgestellt – auch den Spaniern? Sind sie alle Christen? Sind sie alle gleichermaßen den nichtweißen Völkern überlegen?«
    Der Notarius kratzte sich mit dem Federkiel, mit dem er geschrieben hatte, am Kopf.
    »Du stellst Fragen, Cuati Juan, die selbst Philosophen in Verwirrung bringen. Aber ich will mein Bestes tun, um sie zu beantworten. Es stimmt, alle Weißen sind allen Nichtweißen überlegen. Das sagt uns die Bibel. Es hängt mit dem Unterschied zwischen Sem, Cam und Jafet zusammen.«
    »Wer ist das?«
    »Noas Söhne. Pater Diego, dein Lehrer, kann dir das besser erklären als ich. Und was die Gleichheit aller Europäer angeht, nun ja …« Er lachte leicht spöttisch. »Jede Nation, dazu gehört auch unser geliebtes spanisches Volk, glaubt, es sei allen anderen überlegen. Die Azteca hier in Neuspanien tun das auch.«
    »Das stimmt«, sagte ich. »Jedenfalls war es so. Aber jetzt sind wir und alle anderen einfach Indios. Vielleicht werden wir auf diese Weise feststellen, daß wir mehr gemeinsam haben, als wir früher glaubten.«
    »Zu deiner anderen Frage. Ganz Europa ist christlich, abgesehen von ein paar Ketzern und Juden … und den Türken auf dem Balkan. Leider muß man sagen, daß es in den letzten Jahren selbst unter den Christen zu Unruhen und Unzufriedenheit gekommen ist. Bestimmte Staaten wie England, Deutschland und andere haben die Oberhoheit der Heiligen Kirche angefochten.« Es verblüffte mich, daß so etwas möglich sein sollte. »Sie glauben nicht mehr an die Dreieinigkeit der Vier?« Alonso war so in Gedanken vertieft, daß er offenbar ›Vier‹ nicht hörte. Er erwiderte düster: »Nein, nein, alle Christen glauben nach wie vor an die Dreieinigkeit. Aber in der heutigen Zeit weigern sich manche, an den Papst zu glauben.«
    »Papst?« wiederholte ich verblüfft. Ich dachte, ohne es allerdings auszusprechen: Haben sie eine fünfte Gottheit? Wer kann sich so etwas nur ausdenken? Eine Trinität der Fünf?
    Alonso sagte: »El Papa Clemente Séptimo, Clemens VII. Er ist der Bischof von Rom und der Nachfolger des heiligen Petrus, der Stellvertreter Christi auf Erden, SEINE höchste und unfehlbare Autorität.«
    »Das ist kein Santo oder Espíritu? Es ist ein lebender Mensch?«
    »Natürlich ist er ein lebender Mensch. Ein Priester, ein Mann wie du und ich, nur älter und sehr viel heiliger, denn er trägt die Schuhe des Fischers.«
    »Schuhe?« fragte ich verständnislos. »Eines Fischers?« In Aztlan hatte ich viele Fischer gekannt. Keiner von ihnen trug Schuhe oder war auch nur im entferntesten heilig. Alonso seufzte, und seine Antwort klang gereizt. »Simon Petrus war ein Fischer, bevor er der bedeutendste Jünger, der erste der Apostel von Jesus Christus wurde. Er gilt als der erste Papst von Rom. Seither hat es viele gegeben. Aber man sagt, jeder Papst, der die Nachfolge antritt, steigt in die Schuhe des Fischers. Dadurch erlangt er die gleiche hohe Würde und die gleiche Autorität. Juan Británico, ich habe den Verdacht, daß du im Unterricht bei Pater Diego nicht zuhörst, sondern von anderen Dingen träumst.«
    »Das stimmt nicht«, log ich und begann mich zu verteidigen. »Ich kann das Glaubensbekenntnis aufsagen, das Vaterunser und das Ave Maria. Ich habe die Ränge der Geistlichkeit auswendig gelernt: Nonnen und Mönche, Äbte und Äbtissinnen, Pater, Monseñores, Bischöfe. Dann … äh … gibt es etwas Höheres als Bischof Zumárraga?«
    »Erzbischöfe«, rief Alonso vorwurfsvoll. »Kardinäle, Patriarchen, und über allen steht der Papst! Ich empfehle dir sehr, in Pater Diegos Unterricht besser aufzupassen, wenn du jemals konfirmiert werden willst.« Ich fand es für meine geheimen Pläne klüger, ihm

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