Der Sohn des Donnergottes
Ruoholahti, am westlichen Stadtrand von Helsinki, verengte sich die Autobahn zu einer zweispurigen Straße, und Rutja mußte das Tempo verringern. Er hatte vorsorglich vorher einen Blick auf den Stadtplan geworfen und fand ohne Mühe den Weg zur Iso Roobertinkatu. An den Kreuzungen in Hietalahti standen merkwürdige Verkehrszeichen, die einem verboten, in beide Richtungen zu fahren. Rutja konnte nicht begreifen, wozu diese verkehrsbehindernden Schilder aufgestellt worden waren. Er fuhr entgegen der erlaubten Fahrtrichtung, denn sonst hätte er einen Umweg um mehrere Häuserblocks in Kauf nehmen müssen, und das erschien ihm alles andere als vernünftig. Allerdings reagierte der entgegenkommende Verkehr darauf ausgesprochen schroff. Fast jedes Auto, das Rutja bei seiner Fahrt gegen den Strom passierte, gab wütende Hupsignale von sich. Manche Autofahrer gingen sogar so weit, daß sie dem Sohn des Donnergottes mit der Faust drohten. Rutja hätte diese Autos am liebsten angehalten und die Faustschwinger aufgemischt, aber dann dachte er, daß er eigentlich Besseres zu tun hatte, als tumben Automobilisten Manieren beizubringen.
An der Ecke Abrahaminkatu und Lönnrotinkatu entdeckte ihn ein Polizeiauto. Mit heulender Sirene schnitt es Rutja den Weg ab. Zwei Polizisten in Uniform stiegen aus, und während sie auf ihn zukamen, riefen sie, Rutja solle sofort auf den Bürgersteig fahren, wo man wenden könne. Rutja tat, was die Polizisten befohlen hatten, aber das genügte ihnen nicht, sie erklärten, es gäbe auch noch einen Strafzettel. Einen Strafzettel! Rutja strengte das Gedächtnis an, das er von Sampsa übernommen hatte. Ihm fiel ein, daß Strafzettel eine Methode der Polizei waren, die Bürger zu bestrafen. Für manche Vergehen wurde eine finanzielle Entschädigung verlangt.
Die Polizisten befragten den Sohn des Donnergottes in seinem eigenen Wagen.
»Name? Beruf? Familienstand? Monatseinkommen? Gibt es versorgungsbedürftige Angehörige?«
Rutja gab sich Mühe, möglichst klug zu antworten. Als Name gab er Ronkainen an, konnte sich aber nicht an seine Sozialversicherungsnummer erinnern. Die stand jedoch im Führerschein, wo auch ein Foto von Sampsa war. Beruf? Zuerst wollte Rutja den Tatsachen entsprechend sagen, er sei ein Gott, aber dann fiel ihm ein, daß man so etwas im heutigen Finnland nicht mehr kannte. Da war es besser, als Beruf Landwirt anzugeben und hinzuzufügen, daß man mit dem Ertrag kaum über die Runden kam. Die Polizisten fragten, wieviel Hektar Land er denn besitze.
»So an die tausend Hektar«, schätzte Rutja. Die Polizisten, beides Burschen vom Land, lachten schallend. Sie trugen auf dem Strafzettel das Einkommen ein, das in etwa einem Betrieb von zehn Hektar entsprach, und erklärten Rutja, daß man in der Stadt nicht einfach fahren könne, wie es einem einfiel. Der Sohn des Donnergottes wurde zu einer Geldstrafe von acht Tagessätzen verdonnert.
»Und in Zukunft sollte der Herr Landmann versuchen, ein bißchen vorsichtiger zu fahren«, empfahlen die Ordnungshüter abschließend.
Rutja hielt vor dem Antiquitätengeschäft. Er sah sich die Umgebung an und beäugte das Ladenschild. Die Straße war schwarz vor Menschen, Autos kamen aus allen Richtungen. Ein lebhafter Ort, insofern schien sich das Stadtviertel für die Missionsarbeit gut zu eignen. Rutja betrat den Laden, in dem gerade kein Kunde war. Frau Moisander lag auf einem gustavinischen Sofa und blätterte träge in einem romantischen Groschenroman.
Rutja sah sich die Frau genau an. Da hatte sich der arme Sampsa aber ein langweiliges Weibsstück aufgehalst. Einen Moment lang dachte Rutja schon daran, wieder zu gehen, aber die eisige Stimme von Frau Moisander hielt ihn auf. »Kriegt man den Chef auch mal wieder zu Gesicht!«
Da wurde Rutja wütend.
»Steh auf und mach den Laden sauber! Staub die Sachen ab und saug den Fußboden! Danach zeigst du mir die Kontobücher. Ich gehe inzwischen in die Stadt. Nach dem Mittagessen bin ich zurück und kontrolliere, ob du alles erledigt hast.«
Rutja starrte Frau Moisander mit funkelnden blauen Augen an. Die Alleinerziehende wollte schon zur Widerrede ansetzen, aber der göttliche Blick stopfte ihr den Mund. Rutja ließ sie verdattert auf dem Sofa zurück. Er machte eine Runde durch die verschiedenen Räume und inspizierte die alten Möbel und all die anderen Sachen, die Sampsa gekauft hatte. An Rockenaufsätzen schien kein Mangel zu sein, es waren mehrere Dutzend vorhanden. Rutja ging in die
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