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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatten der Bänke. Das hatten sie einmal im Fernsehen den Abgeordneten im Bundestag abgeguckt, als die sich über die Erhöhung ihrer Diäten im Handumdrehen einig geworden waren.
    Währenddessen hatten die Schüler, unbemerkt und einer nach dem anderen, ihre Hefte zugeklappt. Sie heuchelten jetzt konzentrierte Aufmerksamkeit. Einige beugten sich, wie um besser verstehen zu können, nach vorn. Andere schafften es sogar, nachdenkliche Falten auf ihre Stirnen zu zaubern.
    Natürlich hatte Studienrat Dr. Purzer seine 8 B schon längst durchschaut.
    „Ich muß wohl nicht abstimmen lassen, um zu erfahren, ob ihr damit einverstanden seid, wenn wir die Klassenarbeit für heute vergessen?“
    Irrwitzig schnell flogen sämtliche Hände in die Luft.
    „Allerdings funktioniert so ein Trick nur kurz vor Ostern“, meinte Dr. Purzer jetzt und blickte dabei zu Karlchen Kubatz hinüber. „Weil es aber erst in zwanzig Minuten klingelt und wir alle ja kein schlechtes Gewissen haben wollen“, fuhr er fort, „wenden wir uns noch flugs Friedrich dem Zweiten zu. Er sammelte seine Truppen 1237, um über den Brenner nach Italien zu ziehen. Wo tat er solches?“
    „In Augsburg“, antwortete Karlchen Kubatz. „Mit seinen Rittern, seinen Sarazenen und den Soldaten der Lombardenstädte brachte er es auf ein Heer von mindestens zwölftausend Mann —“
    Als so etwa die Hälfte der 8 B später Erika Bandels Milchbar stürmte, wurde Karlchen Kubatz beinahe so begeistert gefeiert, wie nach seinem erfolgsentscheidenden Einwurf im Olympiastadion.
    „Ich schmeiße zur Feier des Tages eine Runde Orangenmilch“, brüllte Sputnik. Der dickliche Junge bekam von seinem Vater, dem Schokoladenfabrikanten Hugendubel, in der Woche fast so viel Taschengeld wie die anderen im ganzen Monat und war deshalb der einzige, der sich einen solchen Luxus leisten konnte.
    So ziemlich in ganz Bad Rittershude standen die Fenster offen, es wurde immer wärmer, und die Luft stand still. Draußen fuhr ein Sprengwagen vorbei. Seine Walzenbürste fegte das Wasser über die Pflastersteine und machte sie für einen Augenblick dunkel.
    „Da drüben hat dein Vater noch vor einer halben Stunde mit dem fremden Kriminalkommissar zusammengesessen“, bemerkte Frau Bandel, als sie in ihrer blütenweißen Schürze die erste Ladung Orangenmilch brachte und eines der Gläser vor Karlchen Kubatz auf den Tisch stellte.
    „Gibt’s denn irgendwas Neues, ich meine, hat sich der Professor inzwischen gemeldet?“ fragte Karlchen.
    „Nicht die Bohne“, meinte Frau Bandel. „Deshalb soll die ganze Geschichte ja auch morgen in die Zeitung.“
    Die Stadt hatte bisher tatsächlich nichts Genaues erfahren und nur mal hier oder dort ein Gerücht gehört.
    „Endlich ist’s mit der Geheimnistuerei vorbei“, sagte die Besitzerin der Milchbar noch. „Wenn’s nur nicht schon zu spät ist.“
    „Übrigens hat mich gestern abend noch einmal dieser Amerikaner aus Berlin angerufen“, berichtete Emil Langhans so nebenbei.
    „Und kommt er?“ fragte Hans Pigge mit dem hellblonden Pagenkopf neugierig.
    Er meinte natürlich den Indianerjungen, der angeblich der Sohn eines waschechten Häuptlings war und von dem ihnen der Langhaarige mit dem dauerhaften Stimmbruch seit dem ersten Brief seines Bruders aus Chicago immer wieder erzählt hatte.
    „Das ist es ja“, meinte Emil. „Er kommt nicht allein—“
    „Vermutlich ist er sogar schon da“, keuchte Fritz Treut-lein, der sich in diesem Moment durch die Schüler gedrängt und die letzten Worte mitgehört hatte. „Ich komm’ grade aus dem Hotel zum Kurfürsten, weil man mich im Geschäft auf Zimmer 14 zum Haareschneiden bestellt hatte. Also, ich bin fertig, kassiere mein Trinkgeld und komme in die Hotelhalle —“ Er unterbrach sich, weil Frau Bandel bereits das zweite Tablett mit Orangenmilch auf den Tisch schob.
    „Wenn man sieht, wie Schüler leben“, stellte Fritz Treutlein fest, „müßte man als Berufstätiger eigentlich auf die Barrikaden gehen.“
    „Komm wieder auf den Teppich, und erzähl weiter“, meinte der dickliche Sputnik. Er schob ein Glas vor den Frisörlehrling über den Tisch.
    „Hallo Fritz“, sagte Frau Bandel.
    „Guten Tag, Frau Bandel“, grüßte Fritz Treutlein zurück. Er nahm einen Schluck und wandte sich wieder den Glorreichen Sieben zu. „Also im Kurfürsten ist die Hölle los. Alles wirbelt durcheinander, als sei der Kaiser von China abgestiegen. Ein

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