Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
Vom Netzwerk:
offen. »Warum drei, warum nicht einer?«, fragte er.
    »Er spielt mit uns«, meinte Merege trocken.
    »Dann ist es auch gleich, für welchen Weg wir uns entscheiden«, antwortete Awin grimmig.
    Sie nahmen die nächste Öffnung. Dahinter erschien ein langer Gang. Sie folgten ihm, umgeben von jenem seltsamen gelblichen
Leuchten, das aus den Mauern zu sickern schien. Wie lange waren sie schon in diesem Berg? Awin verlor das Zeitgefühl. Sie stießen auf immer neue Abzweigungen und Kammern. Manchmal sahen sie Türen, die vor ihren Augen verschwanden, einmal schloss sich der Gang dicht hinter ihnen. Am Anfang versuchten sie noch, ungefähr eine Richtung einzuhalten, aber das war aussichtslos. Sie wanderten durch unwirklich leuchtende Gänge und Kammern, bogen nach links oder rechts und hatten sich bald hoffnungslos verirrt. Manchmal stießen sie auch auf Abschnitte, denen dieses Leuchten fehlte. Hier waren die Wände dann auch nicht gelb, sondern rötlich, und die Kammern, die sie dort fanden, lagen in Finsternis. Plötzlich hatte Awin einen Einfall. Als sie wieder an einer dunklen Kammer vorbeikamen, packte er Merege am Arm und zog sie hinein.
    »Ich glaube, das ist es«, meinte er zufrieden.
    »Das ist was, Awin?«
    »Die Wand, befühle die Wand. Der Stein hier ist von anderer Art.«
    »Das ist leicht zu sehen, denn er leuchtet nicht«, erwiderte die Kariwa trocken.
    »Eben. Ich glaube, das hier ist richtiger Stein, kein Sand. Und der Zauberer, oder wer immer es ist, hat darüber keine Macht.«
    In der Dunkelheit konnte Awin nicht erkennen, was Merege dachte. Aber schließlich sagte sie: »Ich verstehe.«
    »Wenn wir hier einen steinernen Gang hinaus finden, dann können wir unserem Gastgeber vielleicht entkommen. Ich bin es nämlich leid, wie eine Ziege hin und her gescheucht zu werden«, sagte Awin, der die dunkle Wand abtastete. »Hier ist ein Durchgang«, rief er.
    »Und er leuchtet nicht, ein gutes Zeichen«, sagte Merege leise.

    Wie seltsam, dachte Awin, jetzt liegt unsere Hoffnung schon in der Dunkelheit. Aber er behielt diesen Gedanken für sich.
    »Wenn du willst, kann ich uns Licht machen«, bot Merege an.
    »Nein, das sollten wir uns für den Notfall aufheben.«
    Vorsichtig tasteten sie sich den Gang entlang.
    »Hörst du das?«, fragte Merege plötzlich.
    Sie hielten an. Aus der Ferne drangen blecherne Geräusche an ihre Ohren. Sie sahen einander an, dann gingen sie wortlos weiter, stießen kurz darauf auf eine Kreuzung und entschieden sich blind für den Gang, aus dem das leise Scheppern zu dringen schien. Es erklang in unregelmäßigen Abständen, und jedes Mal war es ein wenig anders. Bald sahen sie vor sich einen schwachen Lichtschein. Er war gelblich. Und dort unten war eine Stimme zu hören. Ein Brummen und Fluchen. Es klang verzerrt, aber auch vertraut.
    Awin stutzte. »Ich glaube, das ist Curru«, flüsterte er.
    Es wurde heller. Der Gang endete bald darauf in einer weiten und gewölbten Halle. Sie war völlig leer bis auf einen seltsamen, riesigen Berg Sand, der sich genau in ihrer Mitte bis fast zur hohen Decke erhob. Am Fuße dieses gewaltigen Haufens lag ein totes Pferd, halb vom Sand verschüttet. Dann entdeckte Awin den alten Seher. Er kniete ein Stück oberhalb des Pferdes und schien etwas auszugraben. Achtlos warf er Bronzeschalen hinter sich, die dann scheppernd über den gepflasterten Fußboden rollten.
    »Meister Curru!«, rief Awin.
    Curru fuhr herum mit wildem Blick. Seine Rechte griff nach einer großen Axt mit silbern schimmerndem Blatt. In der Linken hielt er einen ledernen Sack. Er starrte sie an, als wüsste er nicht, wer sie waren.

    »Wir sind es, Meister Curru«, rief Awin und wollte auf ihn zulaufen.
    Merege hielt ihn zurück. »Die Wände«, sagte sie tonlos.
    Awin blickte irritiert zu den Mauern. Sie waren anders, anders als die gelblichen Wände, anders als der rote Fels. Sie waren von hellem Weiß und weit kunstvoller gestaltet als alles, was sie bisher gesehen hatten. Zarte Simse und Säulen ragten daraus hervor, und die Wände schienen seltsam unregelmäßig geformt. Awin sah genauer hin. Knochen - die ganze Mauer bestand aus schneeweiß gebleichten Gebeinen! In Augenhöhe starrte sie eine endlose Reihe von Totenschädeln an. Es mussten hunderte sein. Awin dachte an die Geschichte, die Mewe am Rotwasser erzählt hatte - von den Menschen, die Uo beleidigt hatten, deren Stadt er zerstört und aus deren Knochen er eine große Halle errichtet hatte. Ein Schauer lief ihm

Weitere Kostenlose Bücher