Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
sein, dass ihr das verhindern könnt. Hast du noch nicht gelernt, dass nichts vorherbestimmt ist, dass die Schicksalsweberin die Fäden so spinnt, wie wir es Tag für Tag neu entscheiden?«
Awin nickte verunsichert. Senis hatte Ähnliches behauptet, doch war es nicht das, was die Hakul glaubten.
Norgis lachte plötzlich: »Du hast Uos Reich betreten, bist auf den Pfaden des Geistes gewandelt und hast mit einer Unsterblichen gekämpft - und doch hängst du immer noch an dem Kinderglauben deines Volkes?«
Hat sie das geraten? Oder liest sie immer noch meine Gedanken? , fragte sich Awin. Er sammelte sich und sagte: »Wenn es nicht vorherbestimmt ist, können wir es verhindern. Also frage ich dich noch einmal: Bist du bereit, uns zu helfen, ehrwürdige Norgis? Du hast Macht. Du kannst einen Nebel hegen, der das Heer der Hakul zerstreut, du kannst die Kariwa vor dem Verhängnis warnen. Es gibt so vieles, was du tun kannst!«
Die Behüterin schüttelte unwillig den Kopf. »Ich werde nichts von dem tun, was du verlangst, junger Seher. Den größten Teil meiner Macht habe ich mit Wald und Sumpf verwoben,
und wenn du die Reiter deines Volkes nicht dazu bringst hierherzukommen, kann ich wenig gegen das Heer unternehmen. Und die Kariwa warnen? Sie würden nicht auf mich hören, und wenn die Wächter ihre Kunst verstehen, wissen sie längst von dem nahenden Unheil.«
»Und wenn nicht?«, fragte Awin zornig.
Die Frau sah ihn mit ihren gelben Augen durchdringend an. »Nein, ich habe wenig Grund, den Kariwa in diesem Streit beizustehen. Verurteilt haben sie mich - mich, ihre Ahnmutter! Aber wenn das Tor geöffnet wird, wird auch mein Volk vergehen, und das will ich nicht. Also werde ich dir helfen, blinder Seher«, sagte sie mit einem kalten Lächeln.
»Was meinst du damit?«, fragte Awin vorsichtig.
»Uo hat dafür gesorgt, dass der Seelenverweser einen Bann auf deine Gabe gelegt hat, nicht wahr?«
Awin schüttelte den Kopf. »Ich habe sie gegeben, weil ich sonst das Tor nicht hätte durchschreiten können.«
Norgis lachte verächtlich: »Diese Gabe ist mit dir verknüpft, du solltest sie nicht verschenken wie ein Stück Fleisch. Doch du kennst den Namen des Seelenverwesers, und das ist gut, denn so kann ich ihn zwingen, sie dir wiederzugeben - wenn du das willst.«
Etwas in der Art, wie sie das sagte, verunsicherte Awin. Sie versprach ihm etwas, das er sich seit Wochen wünschte, doch irgendwo schien ein Haken zu sein. Als sie in seiner Hand gelesen hatte, hatte sie eine Bemerkung gemacht, die ihm nun wieder in den Sinn kam: »Du … du hast vorhin gesagt, Uo habe mir möglicherweise einen Gefallen getan, als er meine Gabe nahm, ehrwürdige Norgis. Was meintest du damit?«
Norgis schüttelte ihren Mantel aus, und dutzende Käfer fielen herab. »Du bist nur ein Mensch, deine Kräfte sind armselig«, sagte sie. »Vielleicht ist es ja besser, wenn du gar nicht
siehst, was dich erwartet, Seher. Ich fragte Tengwil nach dir und konnte einen Blick auf die vielen Fäden erhaschen, aus denen dein Schicksal gewoben wird. Vielfältig sind sie, jeder anders, doch die meisten zeigen Tod, Kampf und Schmerz, wenn du weiter nach Norden gehst. Hättest du gesehen, was ich sah, wärest du möglicherweise gar nicht erst aufgebrochen, sondern hättest dich zitternd vor Entsetzen in irgendeinem Loch verkrochen und würdest dort heute noch sitzen.«
Awin schluckte. Sie sagte das mit spöttischem Unterton, doch er spürte, dass sie ihre Warnung bitterernst meinte.
»Dennoch«, erwiderte er, »ich werde diese Gabe brauchen. Ich muss sehen, was meine Feinde tun. Und ich werde hoffentlich Hilfe finden auf den Pfaden des Geistes, von denen du sprachst, ehrwürdige Norgis.«
»Du denkst an meine Schwester Senis, nicht wahr?«, fragte sie lauernd.
Awin nickte.
»Du kannst dich nicht auf sie verlassen, Seher. So wenig, wie ich es konnte. Vielleicht hatte sie inzwischen Erfolg mit ihrer Suche nach dem Tod, aber auch, wenn sie noch leben sollte, ist noch lange nicht gesagt, dass sie nur einen Finger für dich rührt. Hat sie sich nicht geweigert zu helfen, als du sie das letzte Mal batest?«
»Sie hatte ihre Gründe. Tengwil hätte nicht zugelassen, dass sie sich einmischt«, entgegnete Awin.
Norgis lachte laut auf. »Und das hast du geglaubt, einfältiger Narr? Nein, es ist die Art von Senis, wie von allen Wächtern, diese Dinge anderen zu überlassen. Vermutlich wollte sie sehen, ob ihre Ahntochter der Gefahr gewachsen ist. Kalt muss ihr
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