Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Schlinge und einen Verband um den Leib.
Erleichtert stöhnte Awin auf. »Wo sind die anderen? Limdin, Mabak, Ore Praane?«, fragte er den Raschtar.
»Leben. Mehr oder weniger«, lautete die Antwort.
Dann sah Awin sie bei den Findlingen, zwischen denen sie gekämpft hatten. Auch Mabak trug den Arm in einer Schlinge. Limdin lag vor ihm auf der Erde und ließ sich von Wela das Bein verbinden. Praane stand bei ihnen. Sein rechter Arm war verbunden. Tuge war ebenfalls dort und hielt sich die Seite.
»Wir haben es alle überlebt?«, fragte Awin erstaunt.
»Alle überlebt«, brummte Mahuk zufrieden.
»Ah, Awin, es wird Zeit, dass du endlich auf die Füße kommst, es gibt viel zu tun!«, rief der Bogner.
Awin nickte und ließ sich von Mahuk zu seinen Gefährten führen. Jeder Schritt war ihm eine Qual. Er warf einen Blick hinab in die Ebene. Dort unten sammelte sich das große Heer der Hakul. Eine Schar war jedoch in der Nähe des Tores geblieben. Awin hielt sie für die Yamane, denen er den Heolin entrissen hatte. Sie waren von ihren Pferden gestiegen und schienen zu beraten.
Tuge nickte ihm aufmunternd zu. Er war blass und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite.
»Wieder die Rippen?«, fragte Awin.
»Meine Rippen tun hier nichts zur Sache. Du musst ein Unglück verhindern, Awin. Die Hakul, sie wissen nicht, was sie tun sollen, und ich fürchte, das bringt sie auf dumme Gedanken.«
»Haben sie noch nicht genug?«, fragte Awin unwillig. Er sehnte sich nach Ruhe, aber es sah nicht aus, als würde er die so schnell bekommen.
Der Bogner zuckte mit den Achseln. »Immerhin haben sie die Kariwa schon zweimal geschlagen, und sie haben nicht vergessen, dass es Eisen in diesem Land gibt.«
Awin seufzte und lehnte sich vorsichtig an einen der Findlinge. »Und was sagen die Yamane?«
»Nun, sie wollen hören, was du dazu zu sagen hast.«
»Ich?«
»Sie haben die Worte noch im Ohr, die du vor der Schlacht zu ihnen gesprochen hast. Und sie haben die Wahrheit darin erkannt«, sagte der Bogner grinsend.
»Wurde aber auch langsam Zeit«, murmelte Wela. »Wie geht es deiner Wunde, Awin?«
»Oh, es ist fast nichts«, behauptete Awin.
»Natürlich«, entgegnete Wela lächelnd. »Also?«, fragte sie.
»Also was?«, erwiderte Awin verständnislos.
»Also, was gedenkst du jetzt zu tun, um die nächste Schlacht zu verhindern, nachdem du bei dieser hier versagt hast, Awin Sehersohn?«
Awin öffnete den Mund, aber er brachte vor Verblüffung keinen Ton heraus.
Tuge lachte und schüttelte den Kopf, aber dann verzog er das Gesicht.
»Mit gebrochenen Rippen sollte man nicht lachen, Onkel Tuge«, belehrte ihn Wela.
»Da kommt die Kariwa«, rief Limdin und meinte Merege.
Awin betrachtete sie. Er war fast sicher gewesen, dass Seweti sie getötet hatte. Hatte sie nicht ihren blutigen Dolch gezeigt? »Ich dachte, du seiest gefallen«, begann er ungeschickt.
»Ich dachte von dir Ähnliches«, erwiderte Merege lächelnd, dann deutete sie auf den Verband über ihren Hüften. »Es ist nur eine Fleischwunde, doch raubte mir der Schmerz die Besinnung, denn ich war schon geschwächt.«
Awin nickte nachdenklich. »Senis, sie ist noch auf der anderen Seite des Tores«, sagte er dann leise.
Merege blickte zu Boden. »Sie ist nicht mehr dort, Awin. Ich war oben auf der Mauer. Ich nehme an, sie ruht in den Felsen, zwischen den Riesen, die uns heute gerettet haben. Wer weiß, vielleicht ist das besser als das Leben, das sie nicht mehr wollte, und besser als der Tod, den sie nicht finden konnte«, sagte Merege, und Awin hörte ihr die tiefe Traurigkeit an, die sie unter einem kühlen Lächeln zu verstecken suchte.
»Die Riesen, ich hätte sie gerne gesehen«, murmelte Tuge.
Awin nickte, noch einmal sah er den grauenvollen Kampf vor dem inneren Auge. Dann fragte er: »Du weißt, dass sie Curru getötet haben, Tuge?«
Tuge starrte ihn an.
»Ich sah ihn durch das Tor reiten, die Lanze im Anschlag. Er hatte den Verstand verloren«, erzählte Awin.
»Und ist sicher, dass er tot ist?«, fragte Tuge mit gepresster Stimme.
»Ich sah ihn durch die Bogenscharten«, bestätigte die Kariwa. »Sein Leichnam liegt im Stollen, auch wenn er zermalmt und kaum zu erkennen ist, Bogner.«
»Ich will ihn sehen!«, verlangte Tuge und erhob sich.
»Ich führe dich, Meister Tuge«, bot Mabak an.
Der Bogner dankte ihm, und als sie davonhumpelten, sagte er: »Du musst mich nicht mehr Meister nennen, Mabak, denn du bist nun ein Yamanoi wie ich,
Weitere Kostenlose Bücher