Der Sohn des Tuchhändlers
anders war, als ich es mir in meiner Vision vorgestellt hatte. Jana bewegte sich mit der unschlüssigen Ortskenntnis desjenigen, der schon einmal hier gewesen ist, aber sich nicht darauf konzentriert hat, sich allein zurechtfinden zu müssen.
»Wo habt ihr eure Geschäfte besprochen?«
Jana deutete auf eine offene Tür.
»Das Haus hat keinen Saal, so wie unseres«, sagte sie. »Eine Flucht von Zimmern, wo der Saal hingehört. Ich glaube, wir waren dort vorn.«
Ich setzte mich in Bewegung. Jana hielt mich auf. Unwillkürlich sprach sie leise: »Was ist hier los, Peter?«
»Vielleicht hat er’s mit der Angst zu tun bekommen und hat die Stadt verlassen.« Ich dachte an Friedrich von Rechberg. »Das soll vorkommen.«
»Was hatte er denn zu befürchten? Bei der derzeitigen Stimmungslage? Als Pole?«
»Er hatte wahrscheinlich keine Lust, der neue Bürgermeister zu werden.«
Jana sah mich an. Das ungewisse Licht ließ ihre Augen funkeln. Ihr Gesicht war eine helle Fläche in der Dunkelheit. Ich breitete die Arme aus. »Ich weiß es nicht, Jana. Du kennst ihn besser als ich.«
»Offenbar nicht. Ich habe ihn als denjenigen eingeschätzt, der die Stadt als Letzter verlässt, selbst wenn sie in Flammen steht.«
Ich stapfte zu der offenen Tür hinüber und spähte in den Raum. Er besaß zwei Fenster, die zur Sankt-Anna-Gasse hinausgingen. Das Haus kehrte der Gasse seine Breitseite zu, und die Zimmerflucht, von der Jana gesprochen hatte, zog sich über die gesamte Breite des Hauses. Ich sah Truhen, ein Schreibpult, nichts, was nicht zu erwarten gewesen wäre. Ein Blitz veränderte die Möbelstücke plötzlich in Gestalten, die sich duckten und in deren Schatten weitere Gestalten kauerten, die Dunkelheit verändertesie wieder zurück in halb geahnte Hindernisse, scheinbar grundlos über den Raum verteilt. Ich navigierte darum herum bis zu einem der Fenster und sah hinaus. Die ganze Gasse war zu überblicken, von dem warm flackernden Widerschein des Scheiterhaufens, der den Gasseneingang beim Marktplatz beleuchtete, zur Finsternis, die sich massiv jenseits der Sankt-Anna-Gasse ballte. Ich hörte, dass Jana nach mir in den Raum kam. Ein weiterer Blitz goss weißes Licht in die Gasse und nahm es im selben Augenblick wieder fort, und auch die Schatten der Häuser draußen fingen zu kriechen an. Ich starrte in die schwere Dunkelheit, die die Flanke des Universitätsgebäudes gegenüber warf. Dort bewegte sich etwas, auch wenn kein Blitz in die Gasse züngelte.
»Hast du das gehört?«, fragte Jana.
Ich drehte mich zu ihr um. Sie stand inmitten des Raums, die Arme um den Oberkörper geschlungen, den Kopf schräg gehalten. Ihre Stimme kippte um. »Jemand ruft uns.«
»Der Wind«, sagte ich. »Jana, dies ist nur ein leeres Haus.«
»Ein Haus ist niemals ganz leer«, sagte sie. »Von jedem Bewohner bleibt ein Stück zurück, ganz egal, ob er kurz oder lange weg ist.«
Ich versuchte, den Schatten vor dem Universitätsgebäude mit den Blicken zu durchdringen. Wetterleuchten irrlichterte durch die Wolken, zu plötzlich und zu schwach, um den Schatten zu durchdringen, aber ich war mir plötzlich gewiss, dass ich Augen hatte aufleuchten sehen. Ich prallte zurück.
»Da ist es schon wieder«, sagte Jana. »Jemand ruft.«
Das Fenster bebte von den Windstößen, die sich dagegen warfen; ich spürte die Vibration, als ich die Handfläche dagegen presste. Indem das Haus seine Breitseite der Gasse zuwandte, wandte es sich gen Südwesten, und der Wind tobte mit ungebrochener Wucht dagegen. Ich hakte den Riegel auf und drückte im letzten Augenblick dagegen, als der Wind mir den Fensterflügel entgegenschleudern wollte. Die Bö fuhr herein, nahm mir die Luft und ließ im Raum hinter mir Flügel aufflattern. Jana zucktezusammen. Vom Schreibpult Fryderyk Miechowitas wirbelten plötzlich große Vögel auf und schossen mit metallischem Geknister durch das Zimmer. Ich knallte das Fenster wieder zu, und die Vögel taumelten zu Boden. Jana schnappte sich einen davon, und er entpuppte sich als Papierbogen. Jana versuchte, etwas darauf zu entziffern, und ließ ihn fallen.
»Geschäftspapiere«, sagte sie. »Er muss ganz plötzlich aufgebrochen sein.«
»In der Küche stehen die Töpfe vermutlich noch auf dem Herd, aber das Feuer ist ausgegangen. Und vor einem Esstisch liegt ein umgefallener Stuhl vor einer Scheibe Brot, auf die das Fleisch noch gepackt ist und der Bratensaft in der Dunkelheit langsam geliert.«
»Hör auf«, sagte sie. »Es
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