Der Sohn des Verräters - 21
hätte die Gelegenheit, ihre aufsässigen, arroganten Bewohner abzuschlachten. Was für ein Sieg war es schon, einen leeren Palast einzunehmen? Er hatte einen sauren Geschmack im Mund, als ihm klar wurde, dass er es nie gewagt hätte, die Burg anzugreifen, solange sie bewacht war.
Diese ehrliche Einsicht erschütterte ihn sehr, und er biss die Zähne zusammen. Er musste sich wieder in die Gewalt bekommen!
Er warf einen Blick auf die Anzeige in seinem Visier, kleine Lichtpunkte, die ihm in verschlüsselter Form die Position seiner Männer verrieten. Der Anblick beruhigte ihn, und die vorübergehende Erkenntnis seiner Angst verblasste wieder. Er mochte den Geruch seines Helms und das Gefühl von Macht, das dieser ihm verlieh. Mit ihm konnte er seine Männer unmittelbar lenken und zugleich auch ein Auge auf etwaige Gegner haben. Nicht, dass er welche erwartete. Die Burgwache war mit dem Trauerzug unterwegs, und er hatte für Unruhe auf dem Pferdemarkt gesorgt, um die Stadtwache ans andere Ende von Thendara zu locken. Warum also vermochte ihn diese Litanei an Gewissheiten nicht zu beruhigen?
Es war zu still – das war es, was ihm auf die Nerven ging!
Es müssten doch Leute auf den Straßen sein, selbst wenn es ein Trauertag war. Er schluckte den bitteren Geschmack hinunter.
Aber eigentlich war es besser so, redete sich Belfontaine fast schon verzweifelt ein. Tote Zivilisten erweckten gern das Interesse von Untersuchungsausschüssen, und falls er einen unblutigen Handstreich zu Stande brachte, sollte es nicht sein Schaden sein. Er wünschte, er wüsste besser über den Grundriss der Burg Bescheid. Er hatte sich über all die Jahre um entsprechende Informationen bemüht, und wie es hieß, war das Gebäude ein wahres Labyrinth von Gängen und Räumen, groß genug, um tausend Mann zu verstecken. Nur zählten nicht einmal Stadt- und Burgwache zusammengenommen so viele Leute.
Das weiße Gebäude vor ihm hatte etwas Unheimliches an sich. War da jemand auf dem Dach? Nein, nur ein Schatten.
Belfontaine ließ vorsichtshalber den Blick über die Dächer der umliegenden Gebäude wandern, ob dort Späher zu entdecken waren. Angeblich hätte ihm sein Kampfhelm die Anwesenheit von Personen anzeigen müssen, weil ihre Körperwärme ein Signal auslöste, aber der einheimische Stein schien diese Funktion außer Kraft zu setzen. Typisch – immer wenn man ein Gerät wirklich brauchte, ließ es einen im Stich. Es war wie ein Gesetz.
Seine wachsende Angst unterdrückend, rückte Lyle Belfontaine weiter vor, seine Stiefel und die seiner Begleiter hallten im Takt von den Pflastersteinen der breiten Straße wider. Das regelmäßige, rhythmische Geräusch begann seine Nerven langsam zu besänftigen. Er wusste, dass Männer, die in eine Schlacht zogen, oft nervös waren, und nicht anders. entschied er, erging es ihm eben jetzt. Das war nichts, worüber er sich Sorgen machen müsste.
Nun stand er am Fuß zweier breiter Treppen, die zum Haupteingang der Burg führten. Er hielt einen Moment inne, sah zu dem großen, mit Schnitzereien verzierten Portal hinauf und freute sich schon darauf, es zu zerstören. Er bellte ein Kommando in seinen Helm, und zwei Gruppen rückten auf der Treppe nach oben vor. Alles lief wie geplant, und Belfontaine gestattete sich ein Lächeln hinter seinem Visier.
Er bewunderte, wie tüchtig seine Leute vorankamen, ihr großartiges Zusammenspiel, während sie die erste Treppenflucht nahmen. Doch dann schienen die Männer zu zögern, und er sah einen mit dem Panzerhandschuh gegen den Helm schlagen, als wäre irgendetwas mit dem Mechanismus nicht in Ordnung.
Bevor sich Belfontaine fragen konnte, was los war, spürte er unter dem Helm ein Jucken über seine Kopfhaut kriechen.
Es schien etwas mit vielen Beinen zu sein – eine Art Insekt.
Wie war das verdammte Biest nur unter seinen Helm gekommen? Und er konnte nicht an es heran, ohne das blöde Ding abzunehmen! Er schüttelte den Kopf nach einer Seite, um zu vertreiben, was immer da sein mochte, und spürte, wie der Juckreiz zunahm. Es fühlte sich an, als wären mehrere große Krabbelviecher auf seinem Schädel unterwegs, und er bekam eine Gänsehaut trotz der Wärme des Kampfanzugs. Bilder von Tausendfüßlern stiegen in ihm auf, die Sorte, die auf Lein III weit verbreitet war. Vielleicht waren die Anzüge von einem einheimischen Insekt befallen worden, und seine Körperwärme hatte sie geweckt. Er unterdrückte einen Schauder und versuchte, sich wieder auf die
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