Der Sohn des Verräters - 21
ihren eigenen Sohn. Damit befand er sich zumindest in guter Gesellschaft! Er würde ihren Besuch überstehen wie alle anderen zuvor, indem er ihr möglichst aus dem Weg ging. Sollte sie doch ihren Wirbel um Rhodri veranstalten. Er war nicht eifersüchtig auf seinen kleinen Bruder … oder?
Diese ganze Ängstlichkeit war vermutlich nur dem großen Umbruch in seinem Leben zuzuschreiben und dass er fünfzehn war und sich seiner selbst nicht sicher. Onkel Rafael hatte ihm vor einiger Zeit auf nette Art erklärt, dass er ein völlig normaler Jugendlicher sei, was ihn sehr getröstet hatte. Er würde sicher aus der Sache herauswachsen, so wie er angefangen hatte, alle paar Monate aus seiner Kleidung herauszuwachsen, auch wenn er immer noch zu klein war für sein Alter. Aber sein Onkel kannte die Gestalt nicht, die sein Laran anzunehmen schien – niemand kannte sie, außer einigen Leroni in Arilinn, und die waren völlig verwirrt deswegen. Und niemand wusste, wie es seit seiner Rückkehr nach Thendara gewachsen war! Gewachsen und so merkwürdig verändert, dass er die halbe Zeit überzeugt war, er würde verrückt werden. Er konnte den Planeten in Wirklichkeit nicht hören, oder? Nein, das war bestimmt unmöglich oder das Resultat von übersteigerter Fantasie. Menschen konnten nicht den Bewegungen der Erde lauschen oder die weit entfernte Brandung des Meeres von Dalereuth an der Küste hören. Wenn Sich die Gelegenheit bot, würde er vielleicht Lew danach fragen. Aber wahrscheinlich eher nicht. Sein Großvater war Ziemlich beschäftigt, und er konnte das Thema unmöglich ansprechen, ohne die Angst um seine geistige Gesundheit offen zu legen. Das Rattern von Wagenrädern riss Domenic abrupt aus seinen grüblerischen Gedanken. Er blickte die enge Straße entlang, die an diesem Eingang der Kaserne vorbeiführte. Er kannte den Zeitplan aller Lieferungen auswendig, und momentan wurde keine erwartet. Wie sein Wachkamerad spähte er gespannt ins Halbdunkel. „Was ist da los?“ Kendrick war ein Berufsgardist, ein kräftiger Mann Anfang dreißig und einer von Domenics Lieblingskollegen. Nichts schien ihn je aus der Ruhe zu bringen, und mit ihm Wache zu stehen, war außerordentlich angenehm, beinahe erholsam. Domenic folgte dem Blick des Älteren mit den Augen.
Nun sah er, was Kendrick störte. Es war ein von Maultieren gezogener Wagen, mit einer bemalten Tafel hinter dem farbenfroh gekleideten Kutscher auf dem Sitz. Fahrendes Volk!
Was in aller Welt trieben die jetzt in Thendara? Die durften doch nur zu Mittsommer und Mittwinter in die Stadt. In der warmen Jahreszeit zogen sie umher und zeigten ihre Kunst in kleinen Dörfern und den unbedeutenderen Städten. Von Mittwinter abgesehen wusste Domenic nicht, wo sie überwinterten. Seine Mutter, die in vielen Dingen neugierig war, hatte lange Zeit versucht, echte Informationen über dieses Volk zu sammeln, aber es war ihr nicht gelungen. Das wenige, was sie wusste, hatte sie größtenteils von Erald, dem Sohn des vormaligen Zunftmeisters der Musikergilde. Domenic musste ihr unbedingt erzählen, dass er sie gesehen hatte.
Trotzdem durften die Gaukler genau in dieser Straße wirklich nicht fahren, nicht einmal zu Zeiten, da sie in Thendara willkommen waren. Der einzige Verkehr, der hier gestattet war. betraf Leute, die in der Burg zu tun hatten, Kutscher, die Vorräte brachten, oder Mitglieder der Handwerksgilden. Deshalb war der Vorfall interessant und außer der Reihe, und Domenic spürte, wie seine trübselige Stimmung langsam von Neugier vertrieben wurde. Er hatte während seiner Zeit in Arilinn zweimal Fahrendes Volk gesehen, sie hatten ein paar ziemlich skandalöse Lieder dargeboten und ein Stück, das er als recht lustig in Erinnerung hatte, obwohl es unter anderem aber auch seinen Großonkel Regis veralberte. Wirklich gefallen hatten ihm die Seiltänzerin, ein hübsches Mädchen in einem knappen Kostüm, und der Jongleur, der Gedichte aufsagte, während er immer mehr Bälle in die Luft warf. Niemand sagte dem Fahrenden Volk, was sie tun sollten. Wie es wohl war, so ohne jegliche Pflichten zu sein?
Im Gegensatz zu allen anderen Leuten, die er kannte, schienen sie nirgendwo hinzugehören. Sie hatten kein ständiges Zuhause, und die Organisation ihrer jeweiligen Trupps war ihm ein Rätsel. Sie gehörten keiner Gilde an und folgten keiner Autorität, nicht einmal den Herren der Domänen, und solange sie keines der wenigen Gesetze brachen, die auf sie Anwendung fanden, konnten sie
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