Der Sohn des Verräters - 21
Weise bemerkenswert – eine leichte Himmelfahrtsnase, strahlende Augen und ein üppiger Mund. Sie schien nichts Ernsthaftes an sich zu haben, und Domenic kam zu dem Schluss, dass er sie deshalb so hübsch fand. Sie sah aus, als würde sie das Leben einfach nur interessant finden und sich, anders als Alanna, nie groß Sorgen machen.
Er seufzte. Jedes Mal, wenn er an Alanna dachte, zog sich sein Magen zusammen und das Herz tat ihm weh. Er hegte Gefühle für seine Pflegeschwester, die vermutlich ebenso töricht wie unangebracht waren. Es war ihm egal, dass fast alle Leute sie für ein schwieriges Kind ansahen und dass seine Eltern manchmal schier über ihr Mündel ve rzweifelten. Sie war kühn, während er sich für furchtsam hielt, und bereit Dinge zu äußern, die zu sagen ihm der Mut fehlte. Darüber hinaus war er fast ihr einziger Freund auf der Welt, denn Alannas plötzliche Stimmungsschwankungen hatten selbst seine Mutter bis zu einem gewissen Grad von ihr entfremdet. Würden sich seine Gefühle für sie mit der Zeit legen? Hoffentlich, denn heiraten konnte er sie nicht. Sie waren zu eng durch Blutsbande verknüpft.
„Meinst du, du kannst die Burg auch wirklich verteidigen?“, sprach ihn das Mädchen im Wagen nun keck an, während er immer noch im Halbdunkel stand. „Du siehst ein bisschen klein aus für einen Gardisten.“ „Na, na, jetzt wird’ aber mal nicht frech zu höhergestellten Herrschaften, Kleine”, brummte Kendrick und trat einen Schritt auf den Wagen zu.
Sie schüttelte den Kopf, dass ihr Lockenhaar nur so flog, während ein Sonnenstrahl, der in die Straße fiel, es glänzen ließ. Kurz blitzte ein feuriger Strahlenkranz um ihr Gesicht herum auf. „Irgend so ein überzüchteter Comyn-Sprössling ist für mich doch keine Herrschaft, Wachmann.“ Kendrick ließ tief in der Kehle eine Art Knurren hören, aber er war sich offenbar darüber im Klaren, dass er einen Wortwechsel mit dem Mädchen nicht gewinnen konnte. Sie würde ihm niemals auch nur die geringste Achtung erweisen. „Jetzt aber ab mit euch!“ Als der Kutscher die Zügel auf die Hinterbacken seiner Maultiere klatschen ließ und das Gespann sich wieder in Bewegung setzte, fing Domenic ein Gefühl der Frustration von dem Mann auf. Er sah sich voller Unbehagen zu dem Mädchen um, das sich noch immer aus dem Wagen lehnte, und murmelte etwas vor sich hin. Verfluchtes Frauenzimmer! Der Gedanke kam sehr deutlich herüber, und Domenic lächelte. Obwohl er wusste, dass er es nicht sollte, bewunderte er ihr rüdes Benehmen. Er wünschte, er hätte den Mut, zu jedermann so grob zu sein, anstatt immer nur zu tun, was man von ihm erwartete. Für einen Moment amüsierte er sich über die Vorstellung einer Begegnung zwischen diesem Mädchen und Javanne Hastur und versuchte sich auszumalen, was die Kleine wohl sagen würde.
„Wenn du zur alten Gerberwiese beim Nordtor kommen magst, dort geben wir heute Abend eine Vorstellung!“, rief das Mädchen in seine herrliche Träumerei hinein, während der Wagen davonfuhr. „Du hast ja nicht die ganze Zeit Dienst, oder?“ Domenic schüttelte den Kopf, er war plötzlich sprachlos und kam sich wie ein Tölpel vor. Die merkwürdigsten Eindrücke überfielen ihn, und im Kopf spürte er ein Pochen, ein störendes Gefühl. Ihn durchfuhr das Verlangen, die Alton-Gabe anzuwenden und in die Gedanken des Mädchens einzudringen, wenn auch nur für eine Sekunde – nur um ihren Namen herauszufinden. Oder wollte er mehr wissen? Das Mädchen war so anders als alle, die er kannte, dass er sich kurz zu ihm hingezogen fühlte.
Die Rothaarige winkte ihm keck zu, und der Wunsch, eine Dummheit zu begehen, verblasste. Erleichtert holte er tief Luft. Sein heimlicher Wunsch, unerwartete Dinge zu tun, ging doch nicht so weit, dass er sich mit einer Göre aus dem Fahrenden Volk einlassen wollte. Mochte das bei einem anderen noch hinnehmbar sein, so kam es bei ihm als dem Erben seines Vaters keinesfalls in Frage. Was für ein Skandal!
Wer er wohl ist?
„Wem rufst du da, Illona?“ Das Mädchen drehte sich um und sah in das düstere Wageninnere, wo eine ältere Frau auf einer Pritsche lag.
„Ach, nur einem von der Wache, Tante Loret.“ „Halt dich bloß fern von denen, Mädchen. Und benimm dich nicht so dreist, wenn du nicht willst, dass man dich mit einer Hure verwechselt.“ „Ja, Tantchen.“ Flüchtig fing Domenic die Neugier des Mädchens auf und freute sich unwillkürlich. Dann kehrte seine düstere Stimmung zurück,
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