Der Sohn des Verräters - 21
als wäre sie verärgert, weil man sie nicht beachtete. Was bei Zandrus kältester Hölle war nur los mit ihm? Seit Wochen fühlte er sich erbärmlich, schon vor Regis’ Tod. Er war unruhig und, was noch schlimmer war, zutiefst zornig.
Die meiste Zeit war er wütend auf alles und jeden, hielt aber seine Gefühle eisern unter Verschluss, was ihn erschöpfte und noch mehr in Rage brachte. Warum konnte er das Leben nicht so leicht nehmen wie sein Bruder Rhodri? Er war zu ernst und zu langweilig. Gut, eigentlich nicht langweilig. Er machte nur niemals Dummheiten, und sehr zu seinem Abscheu stellte er fest, dass er gern welche machen würde.
Wenn er doch nur mit jemandem sprechen könnte, bei dem er nicht befürchten musste, sich nackt und schutzlos zu fühlen. Sein Vater hatte ihn wiederholt gefragt, ob er reden wolle.
Obwohl Mikhail so beschäftigt war, bemühte er sich immer, für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen, aber Domenic wusste, das kam für ihn nicht in Frage. Wie könnte Mikhail den stummen Aufruhr verstehen, der in seinem Innern schwelte und seine Seele zerrüttete? Er wusste, sein Vater würde zuhören, weil er es stets getan hatte, aber er war sich auch sicher, dass Mikhail sehr betrübt wäre, wenn er hörte, wie unglücklich sein ältester Sohn war. Bestimmt war es ihm selbst nie so ergangen! Und es spielte keine Rolle, wie unglücklich er war, er war trotzdem der Erbe und hatte Verpflichtungen. Ein widerliches Wort! Er musste seine unklaren Sehnsüchte beiseite schieben und sich am Riemen reißen. Er durfte seinen Vater nicht mit seinen kindischen Problemen belasten – schon gar nicht in diesen Tagen!
Das Wissen um jene Pflichten war eine schwere Bürde. Und solange er atmete, würde er sie nie mehr loswerden. Das machte alles nur noch schlimmer. Er war allein, ein Gefangener seines Erbes … und sein besonderes Laran , das anscheinend niemand einordnen konnte und das bei einer ganzen Reihe von Leuten Unbehagen auslöste, machte die Sache nur umso misslicher. Selbst Lew Alton, den Domenic anbetete, konnte ihm nicht helfen. Abgesehen davon, wie sollte jemand, der so alt war wie sein Großvater, auch nur ansatzweise verstehen, was ihn quälte? Er konnte sich seine Gefü hle selbst kaum erklären, wie könnte er sie da einem anderen vermitteln?
Nach der Wachablösung war Domenic zutiefst niedergeschlagen. Er riss sich den Lederriemen aus dem Haar, verließ seinen Posten und kehrte zur Burg zurück, wo er die lange Treppe vom Eingang zu den oberen Stockwerken hinaufstieg.
Er hätte eigentlich hungrig sein müssen, aber er war es nicht.
Am liebsten hätte er sich in einem Wandschrank verkrochen und die ganze Welt mitsamt dem bedrückenden Gefühl seiner Verpflichtungen ausgeschlossen. Er hatte schlicht kein Recht, so unglücklich zu sein, aber er konnte nichts dagegen tun. Als sich Domenic den Gemächern seiner Familie näherte, hörte er einen schrillen Schrei und dann, dass etwas zu Bruch ging. Alanna hatte wohl einen ihrer Anfälle. Und außer ihm konnte sie niemand beruhigen. Zur Abwechslung hatte er jedoch keine Lust, den Friedensstifter zu spielen, nicht einmal für seine geliebte Alanna. Er wollte nur allein gelassen werden in der vergeblichen Hoffnung, eine Lösung für den inneren Aufruhr zu finden, der ihn Tag und Nacht plagte.
Dann packte ihn eine plötzliche Heiterkeit. Alanna und er gaben wirklich das ideale Paar ab – sie war selten guter Stimmung, und er tat ständig so, als wäre er es. Domenic beneidete seine Base um das Ventil ihrer Wutausbrüche. Ihre Mutter Ariel hatte sie als kleines Kind fürchterlich verzogen und dann widerwillig in die Obhut ihres Bruders gegeben, als das Mädchen völlig unkontrollierbar würde. Selbst den Ausbildern in Arilinn war es nicht gelungen, sie über gewisse Grundlagen hinaus zu erziehen.
Als Domenic eintrat, stand Alanna mit finsterem Blick in der Mitte des Salons. Zu ihren Füßen lag eine zerbrochene Teekanne, und auf dem Teppich zeichnete sich ein Fleck der vergossenen Flüssigkeit ab. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und die Schultern unter der feinen Leinenbluse hochgezogen. Sie strotzte förmlich vor Energie, die aus jeder Pore ihres schlanken Körpers zu strahlen schien. Es war für Domenic ein allzu vertrauter und zunehmend häufiger Anblick.
„Versuchst du etwa, im Alleingang Lady Marillas Keramikfabrik am Leben zu halten, Alanna? Das ist die vierte Teekanne, die du in diesem Monat kaputtgemacht hast.? Er sah auf die Scherben zu
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