Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
Vom Netzwerk:
Aber ich wollte die Schmerzen, mit Betäubungsspritzen war mir nicht gedient, ich wollte meine Kinder aus eigener Kraft gebären. Für mich war das ein Sport, eine Art Marathon. Die blauen Papierkleider, die Spritzen hatte ich zu guter Letzt abwehren können und meine Kinder zum Beweis im Rekordtempo zur Welt gebracht.
    Herman und Iezebel waren Gott sei Dank zu beiden Geburten nach Amerika gekommen und wie Schatten durchs Krankenhaus gegeistert. Als die Babys dann da waren, hatten wir geweint wie die Irren.
    Jacob hatte die Hände gerungen und geflucht, als ich Krankenhauskleid und Spritze verweigerte, wurde aber später zum unermüdlichen, stolzen Verkünder der glorreichen Geschichte meiner Stärke, meines Muts und meiner Dickköpfigkeit.
    Er hatte bekommen, was er wollte. Die Kinder waren amerikanisch und damit in Jacobs Augen sicher.
    Was für ein lächerlicher Gedanke.
    42
     
    Fünf Uhr nachmittags, die Wahrscheinlichkeit, dass ich Mitch jetzt in seinem Studentenwohnheim am Channing Way antreffen würde, war nicht sonderlich groß. Aber ich wollte ihn auch nicht anrufen. Es sollte ein Überfall werden.
    Für mich war es inzwischen zwei Uhr nachts, und unter meiner Schädeldecke quengelte ein beißender Schmerz infolge meiner Übermüdung und des Sauerstoffmangels während des Fluges. Aber ich konnte nicht in derselben Stadt sein wie mein Sohn und ihn nicht gleich sehen.
    Ich hatte mich im Bancroft Hotel am Bancroft Way direkt gegenüber vom Campus einquartiert – ein historisches Gebäude mit Bleiglasfenstern und Holzvertäfelungen. Ich brachte mein Gepäck aufs Zimmer, duschte und zog mir etwas Frisches an. In meinem Fußgelenk, das sich schwer wie Blei anfühlte, pochte der Schmerz. Ich wäre gern ein Stück gelaufen, aber das war mit diesem Fuß praktisch unmöglich. Also beschloss ich, ein Taxi zu Mitchs Dormitory zu nehmen.
    Draußen herrschte jetzt großes Gedränge. Überall Studenten, einzeln oder in Grüppchen, schwere Taschen an ihren Schultern. Mitch hatte mir erzählt, dass die UC Berkeley und die Gemeinde Berkeley nichts miteinander zu tun hätten, aber wenn man sich hier umsah, schien der ganze Ort ein einziger großer Campus zu sein. Bistros und Cafés, wohin man schaute, und alle waren mit Studenten gefüllt. Gegenüber von meinem Hotel sah ich die Studenten durch die Tore des eigentlichen Campus der UC Berkeley in die strahlende Herbstsonne hinausströmen. Vom Bancroft Way zweigte die etwas düster anmutende Telegraph Avenue ab, an die ich mich aus Mitchs Erzählungen erinnerte – dort hatte ihn am helllichten Tag ein verdammt übelriechender Penner, so Mitch, zu berauben versucht. Abgerissene Straßenhändler, die billigen Schmuck und indianischen Schnickschnack verkauften, säumten die Straße, auf dem Boden kauerten Bettler. Es gab hier auch einige FastfoodRestaurants, die zwar unappetitlich aussahen, für Studenten aber wohl wegen der niedrigen Preise attraktiv waren. Mitchs Unit 3 musste hier ganz in der Nähe sein, Ecke Channing Way. Ich hatte insgeheim gehofft, ihn einfach irgendwo auf dem Bancroft Way zu sehen. Das hatte ich auch für wahrscheinlicher gehalten, als dass ich ihn in seiner eigenen Studentenbude antreffen würde.
    Was für ein Student mochte Mitch wohl sein? Hatte er viele Freunde, oder zog er sich nach den Vorlesungen in sein Dormitory zurück, um am Computer zu hocken, wie er es zu Hause auch immer gemacht hatte? Bloß nicht!, dachte ich und war irgendwie erleichtert, dass ich dafür jetzt keine Verantwortung mehr trug. Mitch war erwachsen und von zu Hause weg. Wir durften uns um ihn kümmern, solange sein Studium finanziert werden musste, aber wir konnten ihm nicht mehr vorschreiben, was er in seiner Freizeit zu tun und zu lassen hatte. Ich hoffte, dass er sich sein Leben nett einrichtete, dass er jetzt mit Freunden oder einem Mädchen auf dem Weg in ein Café sein würde oder in ein Konzert oder zu einem Vortrag. Aber ich korrigierte mich.
    Ein Junge, der sich gerade zum Militärdienst verpflichtet hat, verabredet sich nicht mit einem Mädchen, geht nicht in ein Konzert – nicht zwei Monate, bevor er ins Boot Camp muss. Mitch steuerte höchstens ein Fitnesscenter an, ein Gym, um seinen Körper für die Entbehrungen, die ihn erwarteten, zu stählen. Ein Vortrag? Über Afghanistan vielleicht oder die Army . Jemand, der sich für etwas so Extremes entscheidet, kann mit nichts anderem beschäftigt sein, sagte ich mir. Was hatten wir getan, Jacob und ich, wie konnte es

Weitere Kostenlose Bücher