Der Sohn (German Edition)
gern gehabt, dass du ihn bekommst.«
Das machte mich unverhofft überglücklich. Mehr, als ich zeigen konnte.
»Aber dann wird es doch so kahl hier sein, macht dir das nichts aus?«, sagte ich nur und nahm sie in die Arme.
»Ach wo«, sagte meine Mutter, mit den Tränen kämpfend. »Ich mag keine Mausoleen.«
65
Später, am Küchentisch, registrierte ich, wie blass, mager und müde sie aussah. In ihrem Gesicht war nichts mehr von der starken, munteren Person zu erkennen, die meinem Vater so viele Jahre zur Seite gestanden hatte. Sie tat zwar geschäftig, aber sie wirkte abwesend und zerbrechlich. Ich machte mir plötzlich Vorwürfe, dass ich sie im Stich gelassen hätte.
Ich fragte mich, ob meine Sorgen sie wohl so interessierten, wie ich immer angenommen hatte. Womöglich wollte sie ja gar nichts davon hören. Sie goss mit zitternden Händen Tee auf und entrüstete sich währenddessen über die Herzlosigkeit einer Freundin, die ihr nach Hermans Tod keine Karte geschrieben hatte. Sie zündete sich eine Zigarette an, wo sie doch seit zwanzig Jahren nicht mehr rauchte, und blies den Rauch in kurzen Stößen an mir vorbei. Sie erhob sich, um die Plätzchen zu holen, die ich nicht essen würde, und redete dabei unentwegt weiter.
»Wenn du jemanden verlierst, merkst du erst, wer deine Freunde sind, aber vor allem auch, wer nicht«, sagte sie, und ihre Bewegungen wurden ruckartig vor Zorn.
Fahles Sonnenlicht fiel auf den Tisch mit unseren Tassen, und durch das Fenster blickte ich auf ihren Garten. Es war unübersehbar, dass sich schon eine Weile niemand mehr um ihn gekümmert hatte, er war in einem hoffnungslosen Zustand. Überall lagen noch die fünffingrigen Blätter, die von der hohen Kastanie gefallen waren, ein Nistkasten hing schief im Holunder, und zwischen den Terrassenfliesen wucherte dunkles Moos. Alles sah nass, trist und verlassen aus. Das Mäuerchen, von dem mein Vater gefallen war, konnte ich von hier aus nicht sehen. Es lag hinter dem Holunder.
»Hast du eigentlich jemanden für den Garten, oder machst du alles allein?«, fragte ich.
»Allein«, sagte meine Mutter abwesend. »Aber hör dir das mal an. Du kennst doch Siep, die Nachbarin von hinten?«
»Ja, natürlich«, sagte ich. Mir fiel plötzlich etwas ein. »Wo warst du noch gleich, als es passiert ist?«, fragte ich. »Als Papa gestürzt ist, du weißt schon.«
»Einen Obstkorb, stell dir das vor! Ich bin doch nicht krank! Ich glaube, den hatte sie einfach übrig, und da dachte sie: Den schenke ich der von Nummer vierzig, die hat ihren Mann verloren. Da bin ich das Ding gleich los. Ein alter Korb mit Obst!«
»Mama? Ich hab dich was gefragt.«
»Ja, ja. Dabei mag ich gar kein Obst.«
»Mam!«
»Muss das sein, Saar? Ich war oben, das weißt du doch! Ich war gerade von der Gymnastik zurück und wollte duschen. Papa machte sonst nie etwas im Garten. Und beim ersten Mal, wo er was macht, fällt er.«
»Aber warum denn bloß?«
»Wegen dem dummen Nistkasten. Das hat er doch gesagt!«
Ich starrte sie nachdenklich an.
»Wirklich deswegen?«
»Na, so muss es gewesen sein. Er hat es doch selbst immer gesagt! Vielleicht ist er auch einfach gestolpert und hat das nur gesagt, um ein bisschen anzugeben. Jedenfalls lag er mit dem Schraubenzieher in der Hand auf der Erde.«
Sie verstummte. Dann entfuhr ihr ein geschluchztes »Mein lieber Herman. Mit gebrochener Hüfte.« – Die Kulmination ihres ganzen Herzeleids.
»Ja, dieser Schraubenzieher.«
»Das war ein komischer Schraubenzieher.«
»Komisch? Wieso?«
»Ich hatte ihn noch nie gesehen.«
»Hast du ihn noch?«
»Nein. Ich glaube nicht. Nirgends mehr gesehen. Warum?«
»Ach, nichts.«
Meine Mutter seufzte, wir nippten an unserem Tee. Ich stellte fest, dass Iezebel einen Pullover trug, dessen Farbe ihr nicht stand, so grau.
»Neuer Pullover?«
Sie errötete.
»Nein, einer von Herman.«
Sie zerkrümelte ihr Plätzchen. Starrte auf den Tisch.
»Da ist etwas, was ich dir noch nicht erzählt habe, Saar.«
»Was?«
»Papa hatte den Prozess gewonnen.«
»Den Prozess? Welchen Prozess?«
»Na, welchen wohl?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Gegen diesen Bauunternehmer. Erinnerst du dich nicht mehr?«
»Den Bauunternehmer? Hat er wirklich gegen den prozessiert?«
»Ja. Das war doch ein Halunke!«
Natürlich hatte ich davon gehört. Es war zwar in der Zeit gewesen, als Jacob und ich in Amerika lebten, aber meine Mutter hatte mir am Telefon von ihm erzählt. Mein Vater
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