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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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gesetzt.] Wagner gespielt hat? Oder wenn irgendjemand anderes etwas von Wagner mitbekommen hat? Du weißt, wie Jungen sind…
    Es ist schwierig, Briefe hierher zu schreiben, dessen bin ich mir bewusst, und ich kann mir auch vorstellen, dass Ihr genug zu tun habt mit all dem, womit Ihr konfrontiert werdet, aber ich lechze nach beruhigenden Worten von Euch! An Essen mangelt es uns hier noch nicht, aber es beginnt schon kalt zu werden. Möge Gott verhüten, dass es in diesem Winter schlimmen Frost gibt. [Hier war ein ganzer Satz durchgestrichen, und Herr Zaat hatte »Zensur?« an den Rand geschrieben.] Ich wüsste nicht, wie ich das alles ertragen sollte, wenn ich F nicht stets in meiner Nähe wüsste. Er ist auch hier untergebracht, eine Baracke weiter, und es ist mir ein Trost, dass wir hin und wieder miteinander sprechen können. Weil Izak hier einen Posten hat, sind wir vorläufig von der Deportation ausgenommen, aber ich habe keine Ahnung, wie lange das noch gutgehen wird… Und F hat hier nur wenige Freunde und Beschützer. Schick mir bitte eine Nachricht, ob Ihr von unserem Herman gehört habt!
    Wir denken an Euch und wünschen Euch das Allerbeste
    Deine Zewerle
    Der zweite Brief war dreieinhalb Wochen später geschrieben worden, und sein Ton war ganz anders.
    22. Dezember 1942
 
    Liebe Fietje!
    Zuallererst einmal tausend Dank für das herrliche Paket, das Ihr uns geschickt habt! Was für eine Überraschung, und wie gut es getan hat, so viele liebe Gaben zu empfangen. Zu wissen, dass Ihr noch in Sicherheit seid, erfüllt uns mit großer Dankbarkeit. Aber die Sorge um unseren Herman, von dem ja offenbar immer noch jedes Lebenszeichen fehlt, macht uns die Herzen schwer. Ich bete jeden Tag, er möge bei guten Menschen und in Sicherheit sein. Was kann denn nur mit ihm passiert sein?
    Wir haben einen großen Teil von Euren guten Gaben bewahrt, denn, liebe Fietje, ich fürchte, dass wir diesmal nicht darum herumkommen werden. Das, wovor ich so fürchterliche Angst hatte, ist nun doch geschehen. Wie Du weißt, hat uns Izaks Posten im Ordnungsdienst bisher vor der Deportation bewahrt, aber vorgestern erzählte Samuel van D., ein Bekannter, der Einblick in die Listen hat, dass wir diesmal alle drei draufstehen. Irgendwer scheine F und mich zusammen gesehen zu haben, sagte er, das habe die Lagerleitung wohl dazu veranlasst. Izak hätten sie erst nicht mit auf die Liste setzen wollen, aber dann habe ihnen vielleicht einfach noch ein Name gefehlt. Es ist ein Alptraum. Izak spricht nicht mehr mit mir, und F und ich – ich weiß nicht, ob wir uns noch sehen werden. Ich weiß nicht, was ich tun soll, Fiet, ich war noch nie so verzweifelt. Es sieht so aus, als würden wir kommenden Dienstag im Zug nach Osten sitzen, und ich habe keine Ahnung, was uns dort erwartet. Auf alle Fälle scheint es dort fürchterlich kalt zu sein und die Umstände um einiges weniger erträglich als hier. Auch scheint man dort schrecklich hart arbeiten zu müssen. Am allerschlimmsten aber ist der Gedanke, dass ich nicht weiß, wo mein Herman ist, und ich ihm nicht sagen kann, wie sehr ich ihn liebe und wie sehr ich hoffe, dass er diese entsetzliche Zeit sicher übersteht. Die Zukunft ist so finster, so unendlich grau und trostlos. Meine einzige Hoffnung ist, dass Herman in irgendeinem sicheren Versteck ist. Von ganzem Herzen hoffe ich, dass es Euch gelingen wird, meinem Sohn meine Liebe zu übermitteln – auch wenn es zum Schlimmsten kommt. Ich werde alles daransetzen, Euch von meinem zukünftigen Aufenthaltsort aus hin und wieder eine Nachricht zukommen zu lassen, aber sicher ist von jetzt an nichts mehr.
    In banger Hoffnung und Erwartung
    Deine Zewerle
    68
     
    Meine Mutter war genauso überwältigt, wie ich es gewesen war.
    »Die arme Zewa!«, flüsterte sie. »F… Das muss Federmann gewesen sein. Also hatten Federmann und sie etwas miteinander! Und deswegen wurden sie dann doch deportiert.«
    »Was für eine Tragödie«, murmelte ich.
    Wir lasen beide Briefe noch einmal.
    »Fietje Leeder, Tante Fiet!«
    Vier und sieben waren wir gewesen. Ich sah die Bilder auf einmal vor mir – ob es eine erzählte oder eine erlebte Erinnerung war, weiß ich nicht. Berge, Schnee, Kuckucksuhren. Ein bisschen unheimlich. Ein dunkles Häuschen, in dem eine alte Tante wohnte.
    Nur dieses eine Mal hätten wir sie mit der ganzen Familie besucht, sagte meine Mutter. Mein Vater sei öfter bei ihr gewesen.
    »Dein Vater hat sehr an ihr gehangen – logisch, sie war so

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