Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Boden zu verteilen. Vielleicht redete sie gerade auf einen angelaufenen Silberlöffel ein, doch der Anblick ihrer Tochter zauberte sofort ein Lächeln auf ihr Gesicht. »Komm her«, sagte sie dann, »soll ich dir mal von der alten Frau erzählen, von der ich den Löffel habe?« Oder sie trennte gerade eines ihrer Kleider auf, um es für Monica umzuschneidern. Oder Monica traf sie bei einem ihrer kurzlebigen Hobbys wie Teewärmer häkeln, Blumentöpfe anmalen, »traumhaften« Schmuck selber basteln oder Taschentücher besticken. Die meisten dieser Projekte endeten wenige Wochen später halbfertig in irgendwelchen Schubladen. Grettas Hobbys waren reine Strohfeuer, sie loderten hell auf und fielen ebenso schnell wieder in sich zusammen. Jahre später sagte Monicas erster Mann, dass dieser ganze Wahnsinn vielleicht nur ein Ventil für nicht genutzte Intelligenz war. Er hatte gesehen, wie fix sie die Belegabschnitte in ihrem Scheckbuch zusammenrechnen konnte. »Ich meine, dabei ist sie nicht einmal zur Schule gegangen.«
Doch in jenem Sommer, schien es Monica, gingen mit ihrer Mutter Dinge vor, die völlig neu waren. Sie erinnerte sich, dass sie einmal nach Hause kam, wo die abgestandene Luft auf Mutter-Abwesenheit hinwies. Sie ist vielleicht in der Kirche, dachte sie, und schmückt den Altar oder zündet für jemanden eine Kerze an. Sie ließ ihren Ranzen fallen und kaute an ihrem Zopf. Doch als sie in die Wohnstube kam, lag ihre Mutter auf dem guten Sofa, die Hände über den Bauch gefaltet, die Beine hochgelegt, und schlief – mitten am Tag! Monica hätte kaum mehr überrascht sein können, wäre der Papst zu Besuch gekommen und säße mit Tee und Scones am Tisch.
Sie blieb im Türrahmen stehen und starrte auf die schlafende Masse ihrer Mutter, als sei dies alles nicht wahr, die Schlafende nicht ihre Mutter oder ihre Mutter nicht am Schlafen. Oder vielleicht war ja auch alles nur ein Streich, vielleicht sprang sie jeden Moment auf und rief: »Reingefallen, reingefallen!«
Doch ihre Mutter schlief tatsächlich und das um vier Uhr nachmittags. Neben ihr lag die gefaltete Zeitung. Ihr Brustkorb hob und senkte sich sacht, der Mund stand leicht offen und ließ Luft ein und aus. Als kurz darauf Michael Francis durch die Hintertür polterte, stand Monica immer noch da. Ein hektisches »Schhhh!« sorgte für Ruhe, und dann standen sie gemeinsam in der Tür und blickten auf das Unglaubliche, ihre Mutter, die mitten am Tag schlief.
»Ist sie tot?«, flüsterte Michael Francis.
»Natürlich nicht!«, entgegnete Monica nervös. »Guck, sie atmet doch.«
»Holen wir besser Mrs Davis.«
Denn so lautete ihre Anweisung für Notfälle: Mrs Davis. Den Kopf zur Seite gelegt dachte sie über diesen Vorschlag nach. Obwohl Michael Francis zehn Monate älter war als sie, war sie der Entscheider. Sie gingen in dieselbe Klasse, man hielt sie für Zwillinge. Er war älter, aber sie war reifer, und keiner von ihnen stellte diese Regelung je infrage.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre Mammy nicht recht.«
»Und wer macht jetzt unser Essen?«
Monica kratzte sich am Kopf. »Ich«, sagte sie.
Michael Francis stand an der Spüle und schrubbte die Kartoffeln, und Monica tat ihr Bestes, sie zu schälen und in Scheiben zu schneiden. Doch Michael Francis war nicht bei der Sache und putzte sichtlich unwillig an den Kartoffeln herum.
»Und was, wenn sie nicht mehr aufwacht?«, fragte er vorsichtig.
»Sie wird schon aufwachen«, sagte Monica und wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen.
»Sollen wir nur für uns etwas machen oder auch für sie?«
»Für sie natürlich auch.«
»Was gibt es zu den Kartoffeln?«
Monica musste nachdenken. »Spiegelei«, entschied sie, denn sie wusste, sie hatten Eier im Haus, sie hatte am Morgen den zugedeckten Teller gesehen. Und Spiegeleier braten konnte sie – oder hoffte es zumindest. Sie hatte ihrer Mutter oft genug dabei zugesehen.
»Spiegelei«, wiederholte Michael Francis leise und nicht unzufrieden. Wenn er wusste, was es zu essen gab, war alles gut, und er machte sich mit frischer Energie ans Kartoffel putzen. Leider stieß er dabei gegen die Pfanne, die schep pernd auf dem Linoleumboden aufschlug.
»Michael Francis!«, zischte Monica.
»Entschuldigung.« Aber sie wusste, dass ihm jetzt die Tränen kamen. Er war eben, wie ihre Mutter sagte, sehr dünnhäutig. Man durfte ihn nicht anschreien, das hielt er nicht aus. Schon der Anblick eines toten Vogels oder eines fußlahmen Ponys
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