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Der Sommer, als ich schön wurde

Der Sommer, als ich schön wurde

Titel: Der Sommer, als ich schön wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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Ausdruck. Es war mehr so eine Art Sticheln. Sie stichelten viel, aber sie lächelten auch. Merkwürdig: Meine Eltern hatten selten gestritten, aber viel gelächelt hatten sie auch nicht.
    Mr. Fisher sah schon gut aus, würde ich sagen, jedenfalls dafür, dass er ein Vater war. Auf jeden Fall sah er besser aus als mein Dad, dafür war er aber auch eitler. Ich kann nicht sagen, ob er im selben Maße gut aussah, wie Susannah schön war, aber das liegt vielleicht einfach daran, dass ich Susannah vermutlich mehr liebte als alle anderen Menschen, und wer konnte sich mit so jemandem schon messen? Manche Menschen kommen einem so unendlich viel schöner vor als andere. Es ist, als würde man sie durch ein spezielles Objektiv sehen – aber vielleicht sind sie auch in Wirklichkeit so, wie man sie sieht. Das ist wie mit dieser Frage, ob ein Baum, der in einem Wald umfällt, auch dann ein Geräusch macht, wenn keiner da ist, der es hört.
    Wenn wir Kinder irgendwohin wollten, schenkte Mr. Fisher uns jedes Mal einen Zwanziger. Conrad verwaltete das Geld. »Für Eis«, sagte sein Vater dann, oder: »Kauft euch was Süßes.« Etwas Süßes. Immer etwas Süßes. Conrad verehrte seinen Vater. Der war sein Held. Lange Zeit jedenfalls. Länger, als das bei den meisten der Fall war. Mein Dad hat, glaube ich, aufgehört, mein Held zu sein, als ich ihn nach der Trennung meiner Eltern mit einer seiner Doktorandinnen zusammen sah. Sie sah nicht mal gut aus.
    Es wäre einfach, meinem Dad die Schuld für alles in die Schuhe zu schieben – die Scheidung, die neue Wohnung. Aber wenn ich jemandem Vorwürfe machte, dann meiner Mutter. Warum musste sie so ruhig sein, so gefasst? Mein Vater hat wenigstens geweint. Er hat wenigstens gelitten. Meine Mutter hat kein Wort gesagt, keinerlei Gefühle gezeigt. Unsere Familie hat sich aufgelöst, und sie hat einfach weitergemacht wie immer. Das war nicht richtig.
    Als wir in jenem Sommer vom Meer zurückkamen, war mein Dad schon ausgezogen, zusammen mit seiner Hemingway-Erstausgabe, seinem Schachspiel, seinen Billy-Joel-CDs und Claude. Claude war sein Kater, und auf eine Weise gehörte er Dad mehr als jedem anderen in der Familie. Trotzdem war es traurig. Dass Claude weg war, war irgendwie schlimmer, als dass Dad weg war, denn Claude war immer da, er bewohnte jedes Eckchen. Es war, als gehörte ihm die Wohnung.
    Mein Dad ist mit mir essen gegangen und hat sich entschuldigt: »Es tut mir leid, dass ich Claude mitgenommen habe. Vermisst du ihn?« Während des Essens hing fast die ganze Zeit Salatdressing an seinem noch ganz neuen Bart, das nervte mich. Der Bart nervte, das ganze Mittagessen nervte.
    »Nein«, sagte ich, ohne von meiner französischen Zwiebelsuppe aufzublicken. »Er gehört ja sowieso dir.«
    Mein Vater bekam also Claude, und meine Mutter bekam Steven und mich. Das war für jeden eine gute Lösung. Meinen Vater sahen wir meist an den Wochenenden. Dann waren wir bei ihm in seiner neuen Wohnung, in der es immer leicht nach Schimmel roch, ganz gleich, wie viele Räucherstäbchen Dad abbrannte.
    Ich hasste Räucherstäbchen, genau wie meine Mutter. Ich musste davon niesen. Meinem Vater schenkte es anscheinend ein Gefühl von Unabhängigkeit und Exotik, dass er in seiner neuen Junggesellenbude, wie er das nannte, so viele Räucherstäbchen anzünden konnte, wie er wollte. Wenn ich seine Wohnung betrat, rief ich jedes Mal vorwurfsvoll: »Hast du hier etwa Räucherstäbchen abgebrannt?« Hatte er meine Allergie schon vergessen?
    Die neue Wohnung hatte zwei Schlafzimmer. Dad schlief im Elternschlafzimmer und ich in dem anderen, in dem ein schmales, mit rosa Laken bezogenes Doppelbett stand. Mein Bruder bekam das Schlafsofa im Wohnzimmer. Was mich ganz schön neidisch machte, weil er dadurch aufbleiben und fernsehen konnte. In meinem Zimmer gab es nur ein Bett und eine weiße Kommode, die ich kaum je benutzte. In einer einzigen Schublade bewahrte ich ein paar Kleidungsstücke auf, alle anderen waren leer. Außerdem gab es noch ein Regal mit Büchern, die mein Vater für mich gekauft hatte. Mein Vater kaufte mir dauernd Bücher. Er hoffte, ich würde einmal so klug werden wie er, jemand, der Wörter liebte, eine leidenschaftliche Leserin. Ich las wirklich gerne, aber nicht so, wie er es sich wünschte. Nicht wie ein Gelehrter oder so. Ich las Romane, keine Sachbücher. Und ich hasste diese kratzigen rosa Laken. Hätte er mich gefragt, dann hätte ich gelb gesagt. Nicht rosa.
    Aber immerhin hatte er

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