Der Sommer, als ich schön wurde
dem Typ, der das ganze Jahr über rot lackierte Nägel trug und nach Marokko oder Mozambique reiste. Bei Belly dachte man doch automatisch an dicke kleine Kinder oder Männer in Feinripp-Unterhemden. »Wie auch immer, Izzy finde ich auch furchtbar, aber Belle würde mir gefallen. Das ist hübsch.«
Er nickte. »Genau das heißt es ja auch – schön.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich bin im Französisch-LK.«
Darauf sagte Cam irgendwas auf Französisch, aber so schnell, dass ich kein Wort verstand.
»Was?«, fragte ich und fühlte mich dumm. Außerhalb der Schule ist es einfach peinlich, Französisch zu sprechen. Verben konjugieren ist eine Sache, aber die Sprache wirklich zu sprechen, mit Leuten, die wirklich aus Frankreich kommen, ist etwas völlig anderes.
»Meine Großmutter ist Französin«, sagte er. »Ich bin zweisprachig aufgewachsen.«
»Oh.« Jetzt kam ich mir ziemlich blöd vor, dass ich mit meinem LK angeben wollte.
»Übrigens wird das V angeblich wie ein U gesprochen.«
»Wie?«
»In Flavia. Angeblich spricht man das Fla-u-ia.«
»Das weiß ich auch«, blaffte ich ihn an. »Ich hab den zweiten Preis im freien Vortrag gewonnen. Aber Fla-u-ia hört sich albern an.«
»Ich hab damals den ersten Preis bekommen«, sagte er und bemühte sich hörbar, nicht eingebildet zu klingen. Ganz plötzlich sah ich ihn wieder vor mir, einen Jungen im schwarzen Hemd und mit gestreifter Krawatte, der mit seiner Catull-Rede alle anderen aus dem Feld schlug. »Wieso hast du ihn dir dann ausgesucht, wenn du fandest, dass er sich blöd anhörte?«
Ich seufzte. »Weil Cornelia schon vergeben war. Alle Mädchen wollten unbedingt Cornelia heißen.«
»Stimmt. Und alle Jungen Sextus.«
»Wieso das denn?« Im nächsten Moment bereute ich meine Frage. »Ach so, schon gut.«
Cam lachte. »Der Humor von Achtklässlern ist ziemlich primitiv.«
Ich lachte mit. Dann fragte ich: »Wohnst du hier irgendwo in einem der Ferienhäuser?«
»Wir haben zwei Straßen weiter eins gemietet. Meine Mom hat mich mehr oder weniger hergeschickt.« Er strich sich verlegen über den Kopf.
»Oh«, sagte ich wieder und wünschte, ich könnte endlich mal damit aufhören. Aber mir fiel nichts anderes ein.
»Und du? Wieso bist du hier, Isabel?«
Ich war ganz verwirrt, weil er meinen richtigen Namen benutzte. Er ging ihm ganz locker über die Zunge. Es fühlte sich an wie am ersten Schultag. Aber gut. »Ich weiß selber nicht«, antwortete ich. »Vermutlich weil Clay mich eingeladen hat.«
Egal, was ich sagte, alles klang blöd. Aus irgendeinem Grund hätte ich diesen Jungen gern beeindruckt. Ich spürte, wie er mich beobachtete, mich beurteilte nach dem dummen Zeug, das ich schwätzte. Ich bin auch schlau, wollte ich ihm mitteilen. Ich versuchte mir zwar einzureden, dass es mir nicht darauf ankam, ob er mich für schlau hielt. Aber es kam mir sehr wohl darauf an.
»Ich glaube, ich gehe demnächst mal wieder«, sagte er und trank sein Wasser leer. »Soll ich dich irgendwo absetzen?«, fragte er dann, ohne mich anzusehen.
»Nein«, sagte ich. Ich versuchte, meine Enttäuschung darüber runterzuschlucken, dass er schon wegwollte. »Ich bin mit den beiden da drüben hier.« Ich zeigte auf Conrad und Jeremiah.
Er nickte. »Das dachte ich mir schon, so wie dein Bruder ständig herschaut.«
Ich verschluckte mich fast. »Mein Bruder? Welchen meinst du? Den da?« Ich zeigte auf Conrad. Er sah nicht zu uns herüber, sondern tauschte Blicke mit einer Blondine, die eine Red-Sox-Kappe trug. Er lachte. Conrad lachte sonst nie.
»Ja.«
»Das ist nicht mein Bruder. Er führt sich so auf, aber er ist es nicht. Er ist so herablassend, er hält sich für den großen Bruder von allen Leuten … Aber wieso willst du denn schon gehen? Du verpasst ja das Feuerwerk.«
Er räusperte sich, als wäre er verlegen. »Ähm – ich dachte, ich geh nach Hause und lern noch ein bisschen.«
»Latein?« Ich hielt mir die Hand vor den Mund, damit ich nicht kicherte.
»Nein, ich bin dabei, alles über Wale zu lernen. Ich habe mich um ein Praktikum auf einem Walbeobachtungsboot beworben, und dafür muss ich nächsten Monat eine Prüfung machen.« Wieder strich er sich durch die Haare.
»Oh, cool«, sagte ich. Ich wünschte, er würde noch nicht gehen. Ich wollte, dass er noch blieb. Er war nett. Neben ihm fühlte ich mich wie Däumelinchen, klein und kostbar, so groß war er. Wenn er jetzt ging, wäre ich ganz allein. »Weißt du was, vielleicht könntest du mich
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