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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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Verzweiflung vor dem Grab, in das man sie – in einer winzigen Truhe an ihrer Seite der totgeborene Sohn – hinabgelassen hatte. Am selben Abend gab er einen leichtfüßigen Galan in einer französischen Komödie.
    Wenig später kam die Hiobsbotschaft, dass der Kurfürst gestorben war. Sein Nachfolger hätte das Land lieber von der milderen Pfalz aus regiert und machte kein Hehl daraus, dass das alte Baiern für ihn ein rückständiges Binnenland war, mit armseliger Wirtschaft und ungehobelter Bevölkerung, störrisch und abergläubisch, unfähig zu Fortschritt und feineren Sitten. So löste er als eine seiner ersten Amtshandlungen das Ensemble desHoftheaters kurzerhand auf, um es durch eine Mannheimer Gesellschaft zu ersetzen.
    Was Peter Wallerschenk sich erarbeitet hatte, was Jahre gegolten und begeisterte Zustimmung ausgelöst hatte, wofür man ihn verehrte – auf einmal war es als provinziell und unzeitgemäß geächtet. Depassé – überholt – dieses Urteil sauste wie das Henkersbeil auf ihn herab. Mit der Treue des Publikums war es ebenfalls nicht weit her. Es hätte durchaus Widerstand leisten können, huldigte dem neuen Ensemble jedoch bald so begeistert, wie es das frühere gefeiert hatte.
    Wallerschenks Abstieg begann. Einige Monate noch wehrte er sich dagegen, sich unter seinem Niveau engagieren zu lassen. Doch weder in München noch in anderen Städten fand er, was dem Status entsprach, den er für sich in Anspruch nahm – immerhin war er Hofschauspieler gewesen.
    Schon bald hatte er Schulden. Widerwillig begann er, die Angebote der vielen kleinen Privat-Gesellschaften zu sondieren. Anfangs wandte er sich mit Grausen ab, wenn er deren Spielplan studierte, aber bald trieb ihm die Not diesen Hochmut aus. Schließlich war er froh, überhaupt ein paar Gulden zu verdienen. Ein früherer Kollege vermittelte ihn schließlich zur Moser’schen Gesellschaft nach Nürnberg. Unter den privaten Compagnien war sie immerhin eine der, wenn schon nicht Angesehensten, so doch der Erfolgreichsten. Peter Wallerschenk fügte sich seinem Schicksal. Es würde eine Übergangsstation sein, sagte er sich. Irgendwann käme er wieder an die Stelle, die ihm gebührte.
    Es war kein Kunststück gewesen, bei der Moser’schen Compagnie schnell zur Garde der Ersten Charakterschauspieler aufzurücken. Auch seine Finanzen begannen sich wieder zu konsolidieren. Aber mit der Stimmung im Ensemble ging es bald bergab.
    Man unterstellte ihm Überheblichkeit – zu Recht, wie er sich eingestehen musste. Als sich ihm ein anderes Engagement im Sächsischen anbot, nahm er es sofort an. Sein Gastspiel bei derMelina’schen Truppe währte jedoch nur kurz; kaum war er ihr beigetreten, wurde sie von Banditen überfallen und ausgeraubt, worauf sie sich auflösen musste. Auch sein Engagement bei der Mahr’schen Compagnie bereute er bald, denn sie gab ihm nicht einmal mehr die Zeit, sich wenigstens mit seiner Kunst Respekt zu verschaffen. Der Grund war für ihn klar: Intrigante Neider waren am Werk, aufgeblasene, disziplinlose Nichtskönner. Es kam zum Krach, und noch vor Ende der Spielzeit musste er seinen Abschied nehmen.
    Selbst wenn seine Barschaft knapp wurde – für einen Schoppen Wein reichte es noch immer. Gelegentlich dabei ein wenig über die Stränge zu schlagen, empfand er anfangs als kleinen, legitimen Ausflug, den er sich zur Entspannung zugestand. Doch ehe er sich versah, hatte ihn der Dämon fest in seinen Krallen. Er ließ ihn nicht mehr los. Wallerschenk wurde zum Säufer. So viel Disziplin brachte er aber immerhin noch auf, dass er sich bei der Schikanederischen Compagnie bewarb, im Gespräch mit dem Prinzipal einen guten Eindruck machte und engagiert wurde. Auch war er noch vernünftig genug, um zu wissen, dass er es künftig besser für sich behalten sollte, was ihm längst immer schmerzlicher bewusst wurde: Dieses Theater war nicht mehr seine Welt.
    Es war ihm zu leicht, zu fröhlich, es begab sich zu tief hinab in die Niederungen der billigen Lacher, der ordinären Effekte. Es war erbärmlich.
    Und zugleich beunruhigend. Unübersehbar war nämlich, dass dieses neue Theater die Massen in einer Weise bewegte, die Wallerschenk ängstigte. Was ging hier vor? Er entdeckte, dass der Erfolg nicht allein auf dieser neuen, sich an das Publikum schmeißenden Manier beruhte. Auch das Repertoire hatte sich gewandelt. Der Anteil klassischer Stoffe schrumpfte, neue Stücke wurden stürmisch bejubelt. Und in diesen wurden Könige und

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