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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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hatte.
    »Was?!«, keifte sie. »Jetzt hat er auf einmal doch wieder einen Hunger?! Darf ich wieder anschüren! – Also, ein bissl spinnen tun sie schon, die Komödi-Leut! «
    Sepha lachte begütigend.
    »Wird sich schon so gehören bei denen, Sali. Ich bin jedenfalls schon gespannt aufs Theater morgen.«

28
    T u nicht schnabeln, Gidi«, schimpfte der Wirt. »Sonst fängst gleich eine!«
    Der Knecht hatte nur unwillig gebrummt, als ihm der Wirt immer noch eine der schweren Heutrockenstangen auf den Rücken lud. »Meinst du vielleicht, ich schirr deinetwegen den Ochsen an? Nichts da. Der steht zum Verkauf. Der braucht seine Rast.«
    »Und die Knecht brauchen die net?«, fragte Gidi. Er wandte den Kopf und zog die Schultern an. Der Schlag des Wirts landete auf seinem Hinterkopf.
    »Halt dein Maul, wennsd mit mir redest! Ihr habt Rast grad genug! Von fünf in der Früh bis um sieben aufd Nacht Arbeit ist net zu viel. Frisst ja auch gescheit bei mir.« Er gab ihm einen Stoß. »Und jetzt schleun dich!«
    Der Knecht trottete los.
    Gidi war im vergangenen Jahr neunundzwanzig geworden – wenn er sich nicht vertan hatte, er war sich seit einigen Jahren nicht mehr sicher. Er war das zehnte von zwölf Kindern gewesen. Der heimatliche Hof war gerade einmal so groß, dass er eine Familie mit Mühe ernährte. Der Erbe sah sich außerstande, seine Geschwister auszubezahlen. Die zwei – nach dem Hoferben – ältesten Brüder, grobe und zähe Klacheln, in denen es vor Unzufriedenheit rumorte und vor deren Jähzorn sich die Geschwister in Acht nehmen mussten, schlossen sich Auswanderern an. Doch schon ein Jahr nach ihrer Abreise waren derenLebenszeichen ausgeblieben, und ihr letzter Brief hatte den Stempel einer spanischen Reederei getragen. Einem anderen seiner Brüder war es zunächst gelungen, sich als Holzfäller in den Salinenwäldern ein kärgliches Auskommen zu ergattern. Bei einem Unfall beim winterlichen Holztransport wurde er schwer verletzt und starb wenige Wochen später. Seine Witwe mit ihren drei Kindern wurde der Communbehausung übergeben und zog seither von Hof zu Hof. Seine ältere Schwester war von einem Bergknappen geheiratet worden, der im Tal noch einen winzigen Hof unterhielt. Die beiden wirtschafteten einige Jahre unter armseligen Bedingungen vor sich bin, bis sie, mitsamt ihren vier kleinen Kindern, vom Antoniusfeuer – dem erbarmungslosen ›hitzigen Fieber‹ – innerhalb weniger Tage dahingerafft wurden. Ein weiterer war beim Wildern im Hammer Wald von einer Jägerpatrouille gestellt worden, hatte eine blutige Stecherei angezettelt und kam, kaum von seinen schweren Wunden genesen, vor das Landgericht. Nach Entlassung aus dem Zuchthaus wurde er der kaiserlichen Armee unterstellt, von dort aber aus Gründen, die nie in Erfahrung gebracht werden konnten, entlassen. Als man ihn in den Kerker warf, war Gidi noch keine zehn gewesen. Er hatte ihn sehr geliebt und tagelang geheult. Ein reisender Händler hatte geschworen, ihn einmal auf einem Marktplatz in Laibach als Bärenführer wiedererkannt zu haben, und er sei, merkwürdig guter Dinge gewesen. Die anderen Geschwister hatten nicht einmal das Erwachsenenalter erreicht.
    Nicht, dass Gidi all dies abgestumpft hätte. Er hatte nur akzeptiert, dass er nie ein Bauer werden würde. Und er war zu der Überzeugung gekommen, dass dieses Leben nur zu bewältigen war, wenn man um sein Innerstes einen schützenden Panzer aus Gleichmut und Gottergebenheit schweißte. Die Grobheiten des Wirts spürte er jetzt nicht mehr, und nie hätte er ihm den Gefallen getan, sich davon verletzen zu lassen.
    Als besitzloser armer Schlucker war er für die jungen Frauen des Dorfes nicht interessant. Doch manchmal ließ sich eineMagd von ihm berühren und schlief mit ihm in irgendeiner rindengedeckten Kate im Wald. Doch kaum, dass sie ihr geheimes Glück genossen hatten, sickerte ein giftiges Gebräu zwischen sie, das ihre Liebe abtötete. Es war ein Gemisch aus Angst vor Bestrafung, der Furcht, der letzten Würde und Achtung endgültig beraubt zu werden, sowie der Gewissheit, niemals eine gemeinsame und ehrliche Zukunft haben zu können. Er nahm auch das hin. Weil es so war, und weil es immer so bleiben würde. Man musste ja leben, da kam man nicht drum herum.
    Die sperrige Last, die ihm der Kolber aufgeladen hatte, beugte Gidi mit jedem Tritt tiefer. Eine der Stangen löste sich immer wieder ab, schwang mit seinem stolpernden Gang und scheuerte an seiner Hüfte. Seine Muskeln

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