Der Sommer der Gaukler
flussaufwärts.
»Aber was machst du denn?«
»Ich imaginiere unter anderem gerade die Donau, in der die arme Agnes Bernauerin ihr Leben aushauchen wird.«
»Ein bissl schief, das Bild, wenn eins ertrinkt«, stichelte sie. »Außerdem, das Wässerl da nennen die Leut den >Möslbach‹.«
»Ich bin Künstler, kein Kartograf.«
Sie schaukelte mit den Hüften.
»Da hast jetzt wieder Recht.« Sie machte eine kleine Pause. »Aber manchmal schadets nicht, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind... oder wie sie wirklich werden.«
»Demoisell Bichler!«, sagte Schikaneder unwirsch. »Ich bin grad bei der Arbeit, ja? Hab ich nicht ausdrücklich Order gegeben, dass –«, er schwenkte herum und sah sie argwöhnisch an, »was meinst du mit >die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind‹?«
Sie lächelte treuherzig.
»Ich hab noch drangehängt: >Oder sie wirklich werden...‹« Er stürzte auf sie zu.
»Der Unterton! Ich... ich ahne etwas!«
Sie nickte nachsichtig.
»No, vielleicht ahnst du sogar richtig?«
Er fühlte, wie seine Kehle trocken wurde.
»Kein... kein Täuschen möglich?«, stotterte er.
Sie schüttelte ihre Locken, legte ihre Hand auf ihren Bauch und lächelte selig.
»Es zieht schon die ganze Zeit... da... und da...«
Im Zickzack raste sein Blick über ihren Körper. Schließlich fasste er sich.
»Das bildest dir alles bloß ein.« Er wies mit einer Kopfbewegungin Richtung des Gasthofs. »Geh rüber zu den andern. Was hab ich für Order gegeben, nochmal?«
»Dass der Text für die Bernauerin memoriert werden soll.« Er nickte.
»Und genau das tust jetzt.«
Schikaneder wandte sich ab und steuerte die Lände an. Sie trippelte ihm nach.
»Gern. Wann mir wer sagen tät, was ich spielen soll?« Er blieb stehen und überlegte.
»Die Zofe im vierten Aufzug.«
»Ist das ein Monolog?«
»Im Prinzip, ja«, sagte er abwesend.
»Was bedeutet ›im Prinzip‹ – Manü?« Eine Ahnung befiel sie.
»Das bedeutet«, schulmeisterte er herablassend, »dass diese
Rolle eine ungeheure Bedeutung für das Stück hat, textlich aber
gewissermaßen auf das Äußerste verknappt ist.«
Sie runzelte die Stirn.
»Wie knapp denn – verknappt?«, fragte sie spitz.
»Ziemlich knapp. Reduktion ist bekanntlich die Kunst des wahren Genies.«
Sie sah zur Seite, dann wieder zu Schikaneder.
»Also bloß eine Seite?«
Sie erhielt keine Anwort. Schikaneder hatte gerade die Distanz von Orchesterstandplatz und erster Reihe auszumessen. »Eine halbe – Seite?«
Die Distanz war ungünstig. Schikaneder legte die Stirn in Falten und kratzte sich am Hinterkopf.
»Eine viertel – Seite?«
...hm... wenn er das Orchester auf die andere Seite platzieren würde, dann... hm...
»Ein Satz bloß?!«
...aber dann wäre es wieder für den Auftritt der Ritter ungünstig...
»Ein! Wort! Bloß ein Wort!!?«, rief Demoisell Bichler entgeistert. Sie suchte nach Worten. »Ma-Manü... ich...! ! «Als erinnere er sich erst in diesem Moment wieder an ihre Anwesenheit, sah er sie mit erstaunten Augen an.
»Mono-log«, erklärte er, ein wenig betreten.
Ihr Mund zuckte. Zwischen ihren Brauen erschien eine winzige Falte. Beherrscht begann sie: »Ich versteh ja –«
»Gelt? Ich habs immer gewusst.«
Sie lächelte milde.
»Ich versteh ja, dass man vor gewissen Perspektiven manchmal ein bisserl in Verwirrung geraten kann. Aber was diese Zofenrolle betrifft, die für das ganze Stück von so unermesslicher Bedeutung ist, da musst du einfach was durcheinander gebracht haben, Manü.«
»Durcheinander gebracht? Nicht, dass ichs wüsst. Wieso?« Sie trat nahe an ihn heran, als wollte sie ihn gleich umarmen. »Weil ich die Bernauerin spiel«, sagte sie.
Er fuhr herum. In seinen Augen flackerte Panik.
»Nein!«, keuchte er.
»Aber ja, Manü. Ich möcht dir endlich einmal zeigen, was ich kann. Das darfst mir nicht übelnehmen.«
»So schau doch«, stammelte er, auf den Fluss deutend. »Dieses grausige Gewässer, in das die Bernauerin gestürzt werden soll! Wie gefährlich! Schnappende Fische, Blutegel, Schlangen gibts darin! Verunstaltet fürs Leben könntest du werden! Dir den Tod holen! Nein – das kann ich dir nicht antun! Noch dazu in deinem« – er musste Luft holen und verschluckte sich – »deinem Zustand!!«
»Aha? Und bei der Madame wärs dir wurscht?«, erwiderte sie spitz. »Hätt ich ja glatt noch eine Perspektive.«
»Was mich als Ehemann aushält, hat quasi grenzenlose Resistenz!« Er reckte sich wie ein
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