Der Sommer der lachenden Kühe
sei. Um diese Behauptung zu bewei sen, seien Trupps ausgeschickt worden, die sowohl in Lappland als auch in Südamerika Messungen anstellen sollten. Die Franzosen hatten im Tornio-Tal natürlich Steaks gegessen, und das habe ihn wohl auf die Idee gebracht, seine eigenen kulinarischen Wünsche nach diesem Vermessungstrupp zu benennen. Schließlich sei er vom selben Fach.
Die Bedienung war vorbildlich, das Essen fantastisch und die Getränke ausgezeichnet. Sorjonen bewunderte den hohen, geräumigen Saal, in dem sie saßen. Das Dekor schien später Jugendstil oder etwas in der Art zu sein und stammte vermutlich aus den dreißiger Jahren.
Rytkönen erzählte, er habe als junger Mann häufig in diesem Hotel gewohnt und im selben Saal gespeist, vor allem in den fünfziger Jahren, und wenn er scharf nachdenke, so fielen ihm auch spätere Besuche im guten alten Tammer ein. Aber dass er noch vor zwei Jahren hier gewesen wäre, sei ihm neu.
»Na, ist ja auch egal. Trinken wir, Sorjola! Wie war noch gleich dein Vorname?«
»Seppo Sorjonen heiße ich.«
»Ja, natürlich erinnere ich mich an dich. Junger Mann, alter Kamerad! Prost.«
Als Taavetti Rytkönen die Toilette aufsuchte, nutzte Seppo Sorjonen die Gelegenheit, um die Oberkellnerin zu fragen, welcher Art die Besuche gewesen seien, die der Vermessungsrat dem Haus im Laufe der Jahre abgestattet habe.
»Er ist eine sehr schillernde Persönlichkeit, ein so großzügiger und männlicher Charakter.«
Sie berichtete, Rytkönen habe stets an den Treffen der Vermessungsingenieure im Tammer teilgenommen, ganz früher habe er ihre Jahresversammlungen sogar geleitet. Das seien rauschende Feste gewesen, die Vermessungs ingenieure aus ganz Finnland seien mit ihren Frauen nach Tampere gekommen. Im Tammer hätten sie sich stets wohlgefühlt, namentlich Rytkönen, ein ausge zeichneter Gesellschafter, wenn auch manchmal ein wenig laut und eigensinnig.
»Und dann die Weihnachtsfeiern des Panzervereins! Solche Feste werden heutzutage gar nicht mehr veran staltet. Die Herren riefen stets vorher bei der Polizei an und warnten sie. Die Polizisten von Tampere hatten irgendwie Respekt vor den Vereinsmitgliedern und lie ßen sie in Ruhe feiern.«
Die Oberkellnerin erinnerte sich noch an eine abend liche Zusammenkunft der Panzerveteranen. Rytkönen war zu Beginn des Abends als Panzersergeant aufgetre ten, später zum Essen als Leutnant, beim Kaffee als Major, und am Schluss war er in seiner militärischen Laufbahn bereits zum Generaloberst aufgestiegen. Zum Frühstück erschien er allerdings wieder als Sergeant.
Kurze Zeit später trat ein etwa vierzigjähriger, adrett aussehender Mann zu Rytkönen und Sorjonen an den Tisch, stellte sich als Taavi Niemelä vor und sprach den Gastgeber des Essens an: »Na, Vater, wieder mal in Tampere? Geht’s dir gut?«
Taavetti Rytkönen war verdattert. Was sollte das hei ßen, wieso war er der Vater dieses fremden Mannes?
In ruhigem Ton erklärte der Gast, er sei Taavetti Ryt könens Sohn, ob sich denn sein Vater nicht an ihn erinnere. Er sei 1950 in Nokia geboren worden. Seine Mutter heiße Leena. Er sei sein uneheliches Kind. Auch er selbst habe ein uneheliches Kind, falls es den Vater interessiere. Ein dreijähriges Mädchen.
»Lügen Sie nicht, junger Mann. Ich werde doch wohl noch meine eigenen Kinder kennen«, protestierte Rytkö nen. Er wirkte hilflos und verlegen. Sorjonen merkte, wie sich der alte Mann zu erinnern versuchte, wie er seinem Gegenüber scharf in die Augen sah, um ihn einordnen zu können. Offenbar kam ihm dessen Gesicht bekannt vor, aber er war sich nicht sicher.
Sorjonen versuchte, die Situation aufzulockern, in dem er Niemelä ein wenig von sich selbst erzählte: Er sei ein ehemaliger Taxifahrer, befinde sich zurzeit mit Ryt könen auf Reisen, sie seien in Hämeenlinna gewesen, während der Nacht in Parola…
Niemelä erklärte, er kenne die Vorliebe seines Vaters für Parola. Sein Vater sei ein eingefleischter Soldat, Sergeant der Panzerstreitkräfte und Experte für Land vermessung. Er wolle ihn auf keinen Fall belästigen, er habe ihn nur zufällig im Restaurant gesehen und ihn kurz begrüßen wollen. Niemelä betonte, ihre Beziehung sei in jeder Hinsicht in Ordnung.
Taavetti Rytkönen fiel es schwer, den Gedanken zu verarbeiten, dass er einen Sohn hatte, an den er sich nicht erinnerte. Niemelä hatte zweifellos Ähnlichkeit mit ihm, sein Gesicht hatte dieselben Züge, zumindest soweit sich
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