Der Sommer der Schmetterlinge
Charpentier, Purcell, Gesualdo, Lully – Lieder, die nicht zu seinem breiten Körper zu passen schienen, zu dem angegrauten Bart und den zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren, zu seinem Don-Juan-Gehabe. Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Von beiden fühlte Maria Inês sich angezogen, mehr jedoch noch von der Unverblümtheit dieses Verhältnisses, von seiner tristen Banalität, von den verlogenen süßen Worten.
Sie wusste, dass Bernardo Águas andere gelegentliche Geliebte in der Stadt hatte (und in anderen Städten), dass es ihm gefiel, über einen globalen Harem zu verfügen. Er machte daraus kein Geheimnis, und einmal meinte er sogar wie ein Hahn, der über seine Hühnchen spricht: Was hältst du davon, wenn ich mir eine Weltkarte kaufe und alle Orte markiere, in denen ich schon eine Geliebte hatte? Dann begann er mit der Aufzählung: Rio, São Paulo, Curitiba, London, Louvain, Paris, Mailand …
Dummkopf, dachte Maria Inês, während sie ihn küsste. An der Seite von Bernardo Águas wurde sie zu einemHühnchen, einer statistischen Größe, einer bunten Nadel auf der Weltkarte. Und manchmal war es bequem, namenlos zu sein.
An dem Ring, den sie zur Abschlussfeier trug, befand sich ein echter Smaragd, ein Geschenk von João Miguel, damals schon ihr Ehemann, der ihren Entschluss, zu studieren und zu arbeiten, allerdings nie hundertprozentig unterstützt hatte. Das hast du nicht nötig, sagte er. Maria Inês hatte es nötig, aber das konnte João Miguel natürlich nicht verstehen.
In den Morgenstunden des 25. Dezembers, nach dem Austausch der bunten Päckchen zwischen den Familienmitgliedern und weiteren Rationen Coca-Cola und Kaffee im Wechsel mit Wein, legte Maria Inês sich schlafen und träumte von Bernardo Águas: einen erotischen Traum ohne Bedeutung.
Nie träumte sie von Tomás.
Als er am nächsten Morgen erwachte, war João Miguel nicht ganz so verkatert wie Maria Inês. Aus reiner Vergesslichkeit hatte er die Klimaanlage noch nicht angeschaltet. Auch er, João Miguel, hatte in der Nacht Träume gehabt, in die er noch eingesponnen war wie ein Schmetterling im Puppenstadium. Er setzte sich in den weißen Sessel und betrachtete die merkwürdigen, absichtsvoll künstlichen Aronkelche aus Acrylglas, deren weiße Stiele in einer stark verdrehten Vase standen. Die morgendliche Hitze war klebrig und schwer. Doch sie vermochte João Miguel kein Unbehagen zu bereiten.
Das Leben war so bunt und aufregend. Wie ein Teller mit indischem Essen oder eine Fahrt mit der Achterbahn. Wie ein mit Perlen und Pailletten besticktes Stück Samt. Wie die festen Arme dieser frischgeschiedenen Luciana, die nach Puder rochen und mit goldgelben Haaren gesprenkelt waren. João Miguel hatte von ihr geträumt und war mit einer Erektion erwacht wie ein Heranwachsender. Er hätte die Hand ausstrecken, die nackte Schulter von Maria Inês berühren und bei ihr Erlösung suchen können. Am Ende hatte er sich jedoch dagegen entschieden und war in das treibhausartige Wohnzimmer gegangen, um seinen Traum weiterzuträumen.
In der Nachbarwohnung hatte ein reiches Kind von seinem reichen Weihnachtsmann ein elektronisches Spielzeug geschenkt bekommen, dessen Geräusche man nun leise vernahm. Das ging João Miguel schließlich auf die Nerven, es riss ihn aus seiner Träumerei. Vor der Anlage fand er die CD mit dem Brahms-Trio und legte sie ein. Er hatte das Gefühl, sich widerrechtlich eine Sache von Maria Inês anzueignen, eines ihrer Heiligtümer zu entweihen.
Eduarda kam ins Wohnzimmer, setzte sich neben ihn auf den Boden und sagte mit betonter Ungeduld: Hilfe, seit gestern läuft hier nur noch diese Musik.
Sie begann getrocknete Datteln, Feigen und Aprikosen zu essen, die vom Fest übriggeblieben waren.
Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?, fragte er. Nach Italien. Wir können immer noch ein Ticket besorgen, wenn du es dir anders überlegst.
Ich bin mir sicher, antwortete Eduarda. Ich möchte Tante Clarice besuchen.
Dabei warf sie ihm einen provozierenden Blick zu. Sie wollte deutlich machen, dass sie Tante Clarice dem Großvater Azzopardi vorzog. Wollte ihn angreifen. Einfach so. Was auch auf ihr jugendliches Alter zurückzuführen war.
João Miguel zog eine Augenbraue hoch und zuckte mit den Schultern.
Gehst du morgen zum Tennis?, fragte sie.
Ich glaube nicht, mein Handgelenk tut immer noch ein bisschen weh.
Das Timbre seiner Stimme ließ Eduarda an Schokolade mit Minzegeschmack denken: ein raffiniertes Timbre, sanft, mit der
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