Der Sommer der Toten
etwas Wichtiges erinnert.
Das Licht funktionierte. Die alte Küche war warm und beruhigend. Nach einem Augenblick der Überlegung ging sie wieder an die Tür und lauschte erneut. Diesmal nichts. Kein Geräusch. Aber vorhin war da etwas gewesen. Sie wußte, daß sie vernünftig und nicht leicht zu erschüttern war und vor allem nicht ängstlich. Das war auch der Grund, warum sie die Vorgänge hier so schwer einordnen konnte.
Aber seit wann hatte die Kellertür ein neues, schweres Doppelschloß? Eines, bei dem man zwei Schlüssel brauchte? Das Schloß war dunkel gebeizt wie die Tür, damit es alt aussah.
Draußen beim Getreidespeicher wurde weiter gehämmert.
Katie nahm die große Taschenlampe vom Bord über dem Besenschrank. Sie ging nach draußen und an die Rückseite des Hauses. Sie ließ den Strahl der Lampe direkt auf das kleine rechteckige Kellerfenster fallen. Die Scheiben waren blind. Staub von vielen Jahren, Wetter, Nachlässigkeit. Aber sie konnte immerhin sehen, daß die Kellerfenster von innen verriegelt waren. Wo blieb bloß David?
Das Hämmern verstummte ganz plötzlich, und Old Robert, Papas Begleiter, schlug an. Katie lief zur Veranda und huschte ins Haus. Sie hatte dabei ein gewisses Schuldgefühl – warum bloß? – und die undeutliche Ahnung von Gefahr blieb. Papa kam herein, hängte den Hut an einen Haken im Waschraum, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und wusch die Hände.
»Wird schon dunkel«, sagte er. »Wo steckt dein Mann?«
»Heute haben wir Freitag. Der Verkehr dürfte sehr stark sein. Die Leute wollen an die Seen …«
Sie merkte sofort, daß sie ihn damit bloß an Otto und Aggie, Besitzer des Uferstreifens und kapitalkräftige Vermieter, erinnerte. Aber Papa trocknete sich bloß die Hände ab und merkte’ nichts, zumindest sagte er nichts. Vielleicht hatte ihn die Arbeit ein wenig aufgeheitert.
Wieder glaubte sie, sekundenlang jenes raschelnde Geräusch zu hören.
»Was war das?«
»Was?«
»Da. Hör doch!«
Wieder hörte sie es, leise, aber nicht wegzuleugnen.
Papa ging in der Küche auf und ab, das steife Rascheln seiner Arbeitskleider übertönte jenes andere Geräusch.
»Ich hör nichts«, sagte er. Er bückte sich und förderte umständlich und laut den Krug mit dem Apfelschnaps aus dem Schrank zutage. »Trinken wir einen?«
Jetzt war das Geräusch verstummt.
»Nein«, sagte sie. »Ich … Papa, ich glaube, ich fahre jetzt rüber zum Wagonwheel und rufe an. Ich möchte David anrufen.«
Und zu Aggie Jensen hinüber. Aber das sagte sie nicht.
Papa stellte den Krug auf den Tisch und holte ein Glas aus dem Küchenschrank. Er schien nicht im mindesten mißtrauisch. Möglich, daß bei der Arbeit seine Wut verraucht war. Vielleicht gab es ja überhaupt keinen Grund für ihn, argwöhnisch oder verärgert zu sein.
»Sagtest du nicht eben, der starke Verkehr würde ihn aufhalten?« sagte Papa mit einem Anflug jenes Lächelns, das sie ein wenig necken sollte und das sie an ihre Kindheit erinnerte. »Du glaubst doch nicht etwa … nach knappen drei Ehejahren …«
»Ach, am besten man geht auf Nummer Sicher. Wegen des Verkehrs«, setzte sie hastig hinzu, als er wieder lächelte.
Sie sah noch zu ihrer Mutter hinein, deckte sie mit einer zusätzlichen Decke gegen die Kühle der nördlichen Nacht zu – auch im Juni konnte es hier kühl werden –, und ging aus dem Haus.
Old Robert spähte hinter der Verandaecke vor und machte einen Satz hinter dem Wagen her, als sie losfuhr.
II
Beide Augen von Hercules Rasmussen waren gerötet, eines zusätzlich schwarz umrandet. Das Glöckchen an der Ladentür bimmelte.
Herc schmökerte in einem Magazin, das er schuldbewußt in einer Schublade unter der Kasse versteckte. Der Laden schien leer. Herc rang sich ein Lächeln ab.
»Aber Herc, was ist denn passiert?« fragte Katie aufrichtig besorgt.
Er stand auf, und dabei sah sie, daß sein linker Arm seltsam steif herunterhing.
»Was ist passiert?« wiederholte sie.
Hercules fing an zu stottern und warf einen Blick nach hinten.
»Ach … nichts«, brachte er schließlich heraus.
Wieder ein Blick zurück über die Schulter – keine Mutter – und dann ein verstohlener Blick durch den Raum. Überallhin sah er, nur nicht zu Katie. Er zog die Schultern hoch und versuchte sich wieder an einem Lächeln.
»Ich … ich hob eben einen Kasten mit Sodaflaschen. Muß mir den Arm verrenkt haben. Und dann fiel eine Flasche auf mich. Aufs Auge.«
Das gezwungene Lächeln, der
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