Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
Haar und Schnurrbart.
„Auf keinen
Fall. Das da ist eine Beleidigung für meine Füße. Kotze, bleib hier!”
„Was hast du
denn jetzt gegen Wege?”, wunderte sich Socke. „Nichts. Nur dass der da stinkt!“
Driftwood war gereizt. „Wie du meinst.“ Socke tauchte ab.
„Kotze hat
uns ganz schön dicht an die Farralot geführt“, murrte Driftwood. Etwas ließ ihn
aufhorchen. „Socke!“
Socke kam
wieder aus der Deckung. Er spitzte die Ohren. „Eine Kutsche. Gezogen von zwei
Dahus. Kommt von Osten. Ein Mann, eine Frau. Sie reden miteinander. Die Frau
mit Akzent. Sind in etwa fünf Minuten hier. Mehr kann ich leider nicht sagen.“
Driftwood
nickte anerkennend. „Mal sehen, wer da kommt. Kotze, jetzt ist aber Schluss!“
Sie verzogen
sich in die Büsche. Kein noch so aufmerksamer Wanderer hätte sie entdeckt. Es
war wohl der Historie des Nachtvolkes geschuldet, dass Verstecken eine ihrer
großen Stärken war. Socke streichelte Kotzes Hasenohren. Der magusche Hund
hatte sie mit seiner feinen Spürnase hierher geführt. Irgendwo in der Nähe
musste der Junge sein. Kotze hob den Kopf und schnüffelte. Er hatte noch die
Witterung des Jungen und nahm seine Aufgabe sehr ernst.
„Erstaunlich.
Wenn man überlegt, dass Kotze eigentlich gar keine Nase hat. Nur diesen kleinen
Hasenzinken, der gar nicht ihm gehört. Können wir was essen?“
„Nicht
jetzt, Drift! Hör doch.”
Das
Hufgetrappel war jetzt deutlich zu hören. Die Nachtalben verschmolzen mit der
Umgebung. Kotze knurrte. Offensichtlich irritierte ihn der strenge Geruch der
Dahus. Sein Jagdinstinkt regte sich. Kotze konnte seine maguschen Hinterläufe
schon gut kontrollieren. Er kratzte sich. Endlich kam die Kutsche in
Sichtweite. Socke wusste, dass die Augen der Dahus nicht nur aussahen wie
Katzenaugen. Sie funktionierten auch ähnlich gut. Vorsicht war geboten, damit
die scheuen Tiere sie nicht entdeckten. Auf dem Kutschbock saßen ein Mann und
eine Frau. Auf Sockes Ohren war Verlass. Driftwood spähte durchs dichte
Blattwerk. Der Mann trug alberne, bunte Klamotten zu einer sehr ungepflegten
Gesichtsbehaarung. Dafür hatte Driftwood überhaupt kein Verständnis. Die Frau
war älter und trug dunkle Kleidung. Etwas an ihr mahnte Driftwood zur Vorsicht.
Hier hatten sie es mit jemandem zu tun, der um die Geheimnisse der Welt wusste.
Socke schien das auch bemerkt zu haben. Er machte sich noch kleiner. Die
Kutsche war ein schmuckloses Gefährt, wie es Bauern benutzten, um ihr Gemüse
zum Markt zu fahren. Die Ladefläche war mit Heu ausgelegt. Jetzt konnten sie
die Stimmen der Menschen nicht nur hören, sie verstanden sie auch.
„Vor diesem
Moment fürchtete ich mich dreizehn lange Jahre. Wenn ich meinen Sohn auch noch
verliere. Was für ein Mann bin ich eigentlich?“.
„Gib Rolo
ein wenig Zeit“, sagte die Frau. „Du bist ein guter Vater. Rolo liebt dich.“
„Was ich dem
Jungen alles zugemutet habe. Ich hätte viel eher mit ihm sprechen müssen.“
„Du hattest
deine Gründe. Die letzten Tage waren schwer für euch beide. Blick nach vorn. Wir
besprechen uns jetzt mit Adalar. Vielleicht sind dann die Geschehnisse vom Tor
schon vom Tisch. Eine Last weniger.”
Geschehnisse
vom Tor? Driftwood wurde hellhörig. Die Kutsche entfernte sich. Aufgeregt
gestikulierend fragte Driftwood, ob Socke das auch gehört hatte.
„Ja“,
signalisierte Socke.
„Was sollen
wir tun?“ Driftwood formte mit den Fingern zwei schnell laufende Beine. Socke
schüttelte den Kopf. Driftwood wiederholte die Geste. Socke verneinte. Die
Kutsche war fast außer Sichtweite. Das war der Augenblick. Driftwood sprang aus
dem Unterholz, ohne dass auch nur ein einzelnes Blatt raschelte. Mit flinken
Sprüngen war er auf der Ladefläche. Er vergrub sich im Heu und wartete. Sie
hatten ihn nicht bemerkt. Wie eine Eidechse huschte er dicht an den Kutschbock.
Hier verstand er jedes Wort.
„Hwarf macht
mir Sorgen. Es ist, als hätte ihn ein Fluch getroffen”.
„Es gibt
auch andere Erklärungen. Vielleicht eine Kopfverletzung.“
„Möglich.
Aber ich habe ein komisches Gefühl bei der Sache. Und dann die Bisswunde.“
„Nicht alles
hat eine übernatürliche Ursache, Kinsella. Auch nicht in Neunseen.“
Vielleicht
hat er sich auch mit zu großen Gegnern angelegt, dachte Driftwood.
„Ich bin nur
froh, dass Rolo keine schlimmen Verletzungen davon getragen hat. Ein Sturz von
einer Brücke kann auch böse enden. Der arme Kerl. So traurig habe ich ihn noch
nie erlebt. Ich hoffe
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