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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Fest. Seine Traurigkeit war spürbar, wenn er von anderen Soldaten erzählte und beschrieb, unter welch üblen Umständen sie ihr Leben verloren hatten. Etwas Heldenhaftes schwang in seinen Erzählungen mit. Nur drei aus seiner Einheit hätten überlebt. Oft waren sie eingepfercht gewesen in nasse Unterstände in den Schützengräben oder in feuchten Felsentunnels tief im Berg, die sie mühevoll freigesprengt hatten, ohne zu wissen, wann der nächste Angriff kommen würde und ob sie dort in ihren Unterständen begraben würden. Meist versuchten sie, die Linien der Gegner heimlich zu unterhöhlen und die eigenen Gänge mit Dynamit zu füllen, um dann die über ihnen liegenden Stellungen des Feindes in die Luft zu jagen. Ganze Felswände waren in Steinlawinen zu Tal gedonnert und hatten alles mit sich gerissen. Max lauschte mit Schaudern und war froh, dass Großvater das alles überlebt hatte.
    Max hatte der Mutter angesehen, dass ihr nicht wohl bei dem Gedanken war, das Haus zu verlassen, weil sie nicht wusste, was in den nächsten Stunden in der Stadt geschehen würde. Sie hatte auf dem Koglerhof seit zwei Jahren das Kochen übernommen. Die Bäuerin war auf der Lunge krank und zu schwach, den Haushalt selbst zu bestellen. Mutter kam meist am Nachmittag zurück und so gab es niemanden, der Max verboten hätte, aus dem Haus zu gehen. Sie brachte manchmal ein Stück Käse, Brot und selten Speck mit. Damit besserte sie den Speiseplan auf, vor allem im letzten Jahr, als der Vater keine Arbeit hatte. In dieser Zeit hatte es oft nur Suppe zu Mittag gegeben. Als er in der Werkschmiede wieder eine Anstellung fand, waren bessere Zeiten angebrochen. Die Familie konnte in die Zweizimmerwohnung in der Zufahrtsstraße zum Werk ziehen, denn Großvater hatte bei einem Parteifreund, der für die Zuteilung der Arbeiterwohnungen zuständig war, ein gutes Wort eingelegt. Der Vater kam unter der Woche nach dem Heulen der Werkssirene um zwei Uhr am Nachmittag nach Hause und schlief dann laut schnarchend auf dem Küchensofa. Diese Gelegenheit nutzte Max, um sich aus der Wohnung zu stehlen. Wann der Vater an diesem Tag zurückkommen würde, war unklar, und Max wusste nicht, wie lange so ein Streik dauern würde. Er wusste nur, dass der Vater nicht ins Werk gegangen war und einen verschnürten Leinensack aus dem Keller mitgenommen hatte.
    Max stolperte durch die Kastanienallee, er musste langsam gehen auf den glattgefrorenen Trittspuren, um nicht fortwährend das Gleichgewicht zu verlieren. Unterwegs hatten ihm ein paar Frauen, die mit Proviant zu den Schutzbündlern unterwegs waren, entgegengerufen, er solle sehen, dass er heimkomme, hier sei kein Platz für Lausbuben. Am Vorabend hatte er in der Küche das Gerede über einen Einsatzbefehl mitbekommen, zumindest war das Wort des Öfteren gefallen, während sich um den Tisch immer mehr Männer versammelt hatten und Ottos Vater, der im Dreierhaus wohnte, mit zwei jungen Arbeitern im Keller verschwunden war. Soweit Max verstanden hatte, sollten sie von ihm im Gebrauch der Karabiner unterwiesen werden. Dichte Rauchschwaden vom Qualm der Zigaretten hatten die Luft stickig gemacht und das Gewirr von gedämpften Männerstimmen hatte bis nach Mitternacht die Atmosphäre immer mehr aufgeladen. Die Mutter hatte am Herd Tee gekocht, während die alte Meierhoferin in der Ecke Brot schnitt, um es an die Männer zu verteilen, ohne sich vom jungen Graber irritieren zu lassen, der meinte, sie würden am nächsten Tag wohl kaum Zeit haben, etwas zu essen. Mit diesen Hahnenschwänzlern würde kurzer Prozess gemacht, mit diesen konservativen Christfaschisten. Diese Dollfußsche Hundemeute mit den lächerlichen Federn auf ihren Hüten würde man eins, zwei, drei abknallen wie Verbrecher. Der Großvater hatte dann scharf die Stimme erhoben und gemeint, Blut müsse keines vergossen werden, denn wenn nichts mehr laufen würde, kein Strom, keine Bahn, keine Fabrik, dann sei das eine Lektion für die Wiener Bande. Sie lebten in einer Diktatur, seit Dollfuß das Parlament ausgeschaltet habe, nur würde sich das keiner laut zu sagen getrauen. Wenn der Generalstreik funktioniere, dann könnten die Sozialisten wieder mitbestimmen im Staat, und das würden sie ohne Gewalt erreichen. Einer der Männer hatte aufgeregt nach einem lauten Wortwechsel den Raum verlassen, er wollte nicht mitmachen, weil er seit ein paar Tagen eine Arbeit hatte, die er nicht wegen der Teilnahme am Streik verlieren wollte, in einer Zeit, in der

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